Bewerbung ohne Lebenslauf – ist das möglich?
Wenn Sie die übergeordnete Frage dieses Artikels lesen, denken Sie womöglich sofort: Nein, natürlich ist das nicht möglich – oder jedenfalls keine gute Idee. Und in vielen Fällen haben Sie damit vollkommen recht. Dennoch gibt es einen Trend hin zu ungewöhnlicheren Arten und Formen der Bewerbung. Dabei kann mitunter sogar auf einen formellen Lebenslauf verzichtet werden. Ob dieser Trend zum Standard wird, ist allerdings fraglich.
Die begrenzte Aussagekraft eines Lebenslaufs
Wie aussagekräftig ist ein Lebenslauf? Diese Frage wird immer mal wieder diskutiert. Die meisten Personalverantwortlichen setzen voraus, dass Bewerber auch ihren Lebenslauf mitschicken, wenn sie sich bei ihrem Unternehmen bewerben. Für viele Personaler handelt es sich dabei um das wichtigste Dokument überhaupt. Beim Durchsehen einer Bewerbung fällt der Blick entsprechend oft zuerst auf den Lebenslauf. Nur, wenn das, was sie dort lesen, vielversprechend klingt, sehen sich manche Personalverantwortlichen überhaupt noch die anderen Bestandteile der Bewerbung an.
Vor allem in den USA, aber auch in anderen Ländern ist vor einiger Zeit eine Debatte darüber entstanden, wie es um die Sinnhaftigkeit des klassischen Lebenslaufs tatsächlich steht. Dahinter steckt die Einsicht, dass die Rückschlüsse, die HR-Verantwortliche aus Lebensläufen ziehen, nicht zwangsläufig treffend sind.
Ein Lebenslauf spiegelt wider, wo jemand war und was er gemacht hat. Aber wie gut der Bewerber dabei wirklich war, ob er ein Gewinn für seinen Arbeitgeber war und wo seine tatsächlichen Kernkompetenzen liegen, lässt sich daraus nur begrenzt ablesen. Allein anhand eines Lebenslaufs weiß ein Personalverantwortlicher nicht, was ein Kandidat seinem Unternehmen bieten kann. Ein Bewerber ist mehr als eine Liste von Errungenschaften. Seine Persönlichkeit, die für viele Firmen ein wichtiges Kriterium bei Personalentscheidungen ist, bleibt im Lebenslauf weitgehend außen vor.
Lebenslauf: Oft mehr Schein als Sein
Ein anderes Problem des Lebenslaufs hängt mit dem oft großen Druck, einen lückenlosen, perfekten Weg vorweisen zu können, zusammen. Die eigene Vita wird häufig stark aufpoliert, mitunter machen Bewerber dabei Angaben, die übertrieben sind oder gar nicht der Wahrheit entsprechen.
Gleichzeitig haben gerade viele jüngere Bewerber, die sich einer unsteten Arbeitswelt zwischen Stellenabbau und befristeten Jobangeboten bewegen, keinen solchen lückenlosen Lebenslauf, in dem sich jede Erfahrung optimal in die bisherigen Stationen einfügt. Jobhopping, Pausen, Umbrüche und grundlegende Richtungswechsel kommen immer häufiger vor. Wer das ehrlich in seinem Lebenslauf skizziert, läuft Gefahr, vorzeitig aussortiert zu werden, weil sein Berufsweg nicht schnurgerade verlaufen ist.
Dass ein perfekter Lebenslauf noch keinen perfekten Kandidaten macht, haben auch viele Unternehmer erkannt. Der erfolgreiche US-amerikanische Entrepreneur Scott Petinga wurde etwa mit diesen Worten zitiert:
„Ein Lebenslauf ist heute wie ein Social-Media-Post. Er ist eine idealisierte Version von dir. Soll heißen: Er ist purer Bullsh*t.“ Was sich Petinga stattdessen wünscht: „Ich mag Menschen, die brutal ehrlich sind. Sag mir nicht das, von dem du denkst, dass ich es hören will. Bleib dir selbst treu.“
Nun sieht das nicht jeder Entscheidungsträger wie der US-amerikanische Unternehmer. Dennoch kann eine gedankliche Abkehr vom Lebenslauf im immer gleichen Format für beide Seiten – Arbeitgeber und Bewerber – gewinnbringend sein. Es kann zum Beispiel bedeuten, dass Bewerber sich stärker überlegen, wie sie einen Arbeitgeber im Einzelfall am ehesten davon überzeugen können, sie einzustellen.
Mit einer Bewerbung, die sich von anderen abhebt, und in der der Kandidat klar benennt, was ihn ausmacht und was es dem Arbeitgeber bringt, ihn einzustellen, stehen die Chancen auf eine positive Rückmeldung häufig gut. Und je stärker der Arbeitgeber im Vorfeld die Persönlichkeit des Bewerbers kennenlernt, desto fundierter ist meist auch die Personalentscheidung.
Wie die Alternativen zu einem klassischen Lebenslauf aussehen könnten
Auch, wenn die Sinnhaftigkeit des typischen Lebenslaufs immer wieder zur Debatte steht, heißt das nicht, dass das Dokument in Hinblick auf seinen Inhalt bald nicht mehr bedeutsam sein wird. Einen Lebenslauf – in welcher Form auch immer – wird es wohl auf absehbare Zeit weiterhin geben. Um die eigenen Kompetenzen, Erfahrungen und Erfolge zu zeigen, kommen jedoch auch andere Mittel als die tabellarische Variante in Betracht.
Längst haben sich ungewöhnlichere Formate entwickelt, wenn es um Bewerbungen geht. Das Ziel bei einer Bewerbung ist immer, im positiven Sinne Aufmerksamkeit zu erregen. Und dafür gibt es viele Wege. Eine Möglichkeit, die inzwischen häufiger von Bewerbern genutzt wird, ist eine Bewerbungshomepage. Sie kann individuell auf einen bestimmten Arbeitgeber zugeschnitten sein, aber auch etwas allgemeiner gehalten werden und sich primär auf den Bewerber und seine Persönlichkeit fokussieren.
Naturgemäß enthält eine solche Webseite Informationen, die auch in einem klassischen Lebenslauf zu finden wären. Das Format ist jedoch freier, es hängt stärker von der Gewichtung der jeweiligen Kompetenzen durch den Bewerber ab, welche Informationen er online darstellt – und auch, wie er das tut. Zu einer Bewerbungshomepage können auch Formate wie Bewerbungsvideos gehören.
Eine immer wichtigere Rolle bei der Besetzung von Stellen spielt der Ruf eines Bewerbers. Wer sich schon einen Namen gemacht hat, kommt eher zum Zuge. Das hängt auch mit der Macht von Beziehungen zusammen. Auch der Auftritt von Bewerbern in Karrierenetzwerken wie Xing oder LinkedIn und in sozialen Netzwerken wird bei der Jobvergabe wichtiger.
Warum eine direkte Kontaktaufnahme mit einem Arbeitgeber vielversprechend sein kann
Es kann für Bewerber auch vielversprechend sein, sich finden zu lassen statt nur selbst auf die Suche nach einem passenden neuen Arbeitgeber zu gehen. Auch dabei helfen gepflegte und aussagekräftige Profile in Karrierenetzwerken, Bewerbungshomepages und Bewerbungsvideos. Selbst Anzeigen können den Weg zum Job ebnen.
Genauso kann es sich lohnen, direkt auf den eigenen Wunsch-Arbeitgeber zuzugehen. Es mag ungewöhnlich sein, den möglichen Chef persönlich über sein Profil in einem sozialen Netzwerk zu kontaktieren. Aber es kann dazu führen, dass es zu einem Austausch und später zu einem im Vergleich zu einem Bewerbungsgespräch eher informellen Treffen kommt. Wer auf diese Weise den Fuß in der Tür hat, hat oft sogar dann gute Chancen, eine Stelle beim Unternehmen zu bekommen, wenn offiziell gar keine neuen Mitarbeiter gesucht werden.
Ohne Lebenslauf im klassischen Sinn kommt übrigens auch ein Format auf, das immer häufiger in Recruiting-Prozessen benutzt wird: die Online-Bewerbung per Bewerbungsformular. Häufig tragen Sie dort Ihre einzelnen Erfahrungen direkt in das jeweilige Feld ein.
Von der Cornflakes-Verpackung bis zur Google-Anzeige: Beispiele für ungewöhnliche Bewerbungen
Dass es vielversprechend sein kann, bei Bewerbungen abseits der typischen Schemata zu denken, beweisen die folgenden drei Beispiele. Alle Kandidaten haben einen ungewöhnlichen Weg gewählt, etwas riskiert – und dafür viel Aufmerksamkeit bekommen.
Da wäre zum Beispiel der Grafikdesigner Victor Rodriguez. Er hatte sich nach eigener Aussage gefragt, warum „alle traditionellen Lebensläufe so… traditionell“ aussehen. Die Idee für einen Lebenslauf, der ganz und gar nicht traditionell ist, hatte er erklärtermaßen eines Tages beim Frühstück: eine individuell gestaltete Cornflakes-Packung. Unter der Produktbezeichnung „Vick“ hat Rodriguez seine Kernkompetenzen – etwa „gründlich“, „strukturiert“, „organisiert“ – in einem ansprechenden Design dargestellt. Wichtige bisherige Erfahrungen fanden sich ebenfalls auf der Verpackung – bei den Nährwertangaben.
Große Bekanntheit erlangte der Online-Lebenslauf von Philippe Dubost, der optisch einer Produktseite bei Amazon nachempfunden war. Dubost hat seine Seite online verbeitet, so dass sie innerhalb von drei Wochen 1,3 Millionen Besucher hatte. Danach konnte er gleich aus mehreren Jobangeboten wählen.
Ohne Lebenslauf hat es Alec Brownstein geschafft. Brownstein hat Google AdWords – heute Google Ads – genutzt, um bestimmten Managern aufzufallen. Er hat sich auf fünf Personen fokussiert und passgenaue Werbung geschaltet. Wenn sich die Zielpersonen selbst gegoogelt haben, wurde ihnen seine Anzeige angezeigt. Das hat dazu geführt, dass vier von fünf Unternehmen Brownstein zum Bewerbungsgespräch eingeladen haben. Zwei Firmen machten ihm ein Jobangebot. Die Aktion war nicht einmal teuer: Erklärtermaßen hat Brownstein lediglich sechs Dollar dafür ausgegeben.
Eine Bewerbung ohne Lebenslauf verschicken?
Wenn Sie sich nun fragen, ob Sie bei der nächsten Bewerbung nicht einfach auf Ihren Lebenslauf verzichten können, sollten Sie dennoch vorsichtig sein. Selbst, wenn eine Kurzbewerbung für den Arbeitgeber ausreicht, ist der Lebenslauf gefragt. Nur, wenn Jobangebote eher informell zustande kommen, kann es sein, dass der mögliche Arbeitgeber keinen klassischen Lebenslauf verlangt. Das sind jedoch Einzelfälle.
Gerade, wenn Sie in konservativen Bereichen tätig sind, ist der Verzicht auf den tabellarischen Lebenslauf meist keine gute Idee. Stellen in digitalen und kreativen Bereichen eignen sich dafür schon eher, aber auch hier wissen Sie vorher nicht, wie der Entscheidungsträger dazu steht. Nicht jeder findet solche ungewöhnlichen Bewerbungen lustig. Die Gefahr besteht, dass Sie damit negativ auffallen.
Es spricht jedoch gerade in solchen Branchen nichts dagegen, den Lebenslauf nicht klassisch zu gestalten, sondern etwa ein Querformat und einen Zeitstrang zu wählen. Wenn Sie eine Bewerbungshomepage erstellen oder ein anderes ungewöhnliches Mittel wählen, sollten Sie trotzdem einen Lebenslauf in petto haben, um ihn auf Anfrage verschicken zu können.