Perfektionismus: Wie Sie lernen, weniger perfektionistisch zu sein
„Ich bin perfektionistisch“ – das war lange eine beliebte Antwort von Bewerbern auf die Frage nach den eigenen Schwächen im Bewerbungsgespräch. Schließlich kann diese Schwäche auch als Stärke gesehen werden. Tatsächlich hat Perfektionismus im Job jedoch viele Nachteile, und zwar sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Arbeitgeber. Wie wirkt sich eine perfektionistische Ader aus und wie kann man Perfektionismus überwinden?
Definition: Was zeichnet perfektionistische Menschen aus?
Perfektionismus ist eine Charaktereigenschaft. Ein Perfektionist zeigt, so der Duden, ein „übertriebenes Streben nach Perfektion“. Die Ansprüche, die er an sich und seine Arbeit hat, sind typischerweise sehr hoch und oft unrealistisch. Die Betroffenen haben häufig falsche Vorstellungen davon, was sie schaffen können oder sollten. Erfüllen sie ihre eigenen Erwartungen nicht, kann das für viel Frust sorgen.
Perfektionistische Menschen sind häufig besonders selbstkritisch und schwer zufriedenzustellen. Sie finden an dem, was sie tun, oft auch dann noch einen Makel, wenn das Niveau schon sehr hoch ist. Zugleich haben sie oft starke Angst, einen Fehler zu machen oder zu versagen. Weil alles perfekt sein muss, geben sie Aufgaben auch nur ungern aus der Hand. Das zeigt sich meist in einem gewissen Kontrollzwang – sowohl beruflich als auch privat.
Der Drang, alles perfekt zu machen, kann für hohen Druck sorgen. Er kann auch dazu führen, dass bestimmte Aufgaben eine größere Hürde darstellen, als sie es eigentlich müssten, und manche Dinge immer wieder aufschoben werden. Genauso kann eine perfektionistische Neigung zur Folge haben, dass Aufgaben lange nicht abgeschlossen werden, obwohl sie eigentlich schon fertig sind.
Fokussiert auf die eigenen Unzulänglichkeiten
Perfektionisten neigen häufig dazu, sich mit anderen Menschen zu vergleichen. Ihre eigenen Erfolge nehmen sie oft kaum wahr. Stattdessen fokussieren sie sich auf ihre (tatsächlichen oder vermeintlichen) Unzulänglichkeiten und das, was sie noch nicht erreicht haben. Im Beruf geben sie meistens 110 Prozent. Oft sind Sie auch die Ersten, die freiwillig Überstunden machen oder sich auch in der Freizeit mit der Arbeit befassen. Das kann dazu führen, dass es ihnen an einem Ausgleich fehlt, weil die Entspannung zu kurz kommt.
Ist Perfektionismus eine Krankheit? Subjektiv mag das in extremen Fällen teilweise so wirken. Im klinischen Sinn handelt es sich dabei aber nicht um eine Erkrankung, sondern lediglich um eine bestimmte Ausprägung der Persönlichkeit eines Menschen.
Perfektionismus im Job: Vorteile und Nachteile
Ist Perfektionismus eher ein Vorteil oder ein Nachteil im Job? Das kommt darauf an, wie stark der Perfektionismus bei einer Person ausgeprägt ist und welche Auswirkungen er im Einzelfall hat. Dabei lässt sich zwischen funktionalem und dysfunktionalem Perfektionismus unterscheiden. Funktionaler Perfektionismus ist produktiv und hat vorwiegend positive Folgen, während dysfunktionaler Perfektionismus mehr schädliche als nützliche Effekte hat.
Diese Vorteile kann eine perfektionistische Art mit sich bringen
- Perfektionisten sind von Natur aus motiviert und engagiert. Das kann zu guten Leistungen führen, die auch dem Arbeitgeber positiv auffallen.
- In diesem Fall kann der Perfektionismus eine gute Grundlage für die Karriere sein.
- Durch ihr Auge fürs Detail machen Perfektionisten oft weniger Fehler. Die Qualität ihrer Arbeit ist oft besser als die von anderen Beschäftigten.
- Viele Perfektionisten sind ehrgeizig und setzen sich ambitionierte Ziele. Auch dadurch können sie im Job oft mehr erreichen als andere.
Nachteile, die mit Perfektionismus verbunden sein können
- Eine perfektionistische Neigung kann dazu führen, dass Aufgaben länger dauern als nötig. Manche Perfektionisten verlieren sich in Details, durch die sie länger mit ihren Tätigkeiten beschäftigt sind.
- Dadurch dauert die Arbeit insgesamt womöglich länger, was Überstunden erforderlich machen und für Stress sorgen kann.
- Wegen des hohen Anspruchs an die eigene Arbeit schieben manche Perfektionisten bestimmte Aufgaben auf. Das kann sie in Schwierigkeiten bringen oder unter Druck setzen.
- Sind die hohen Erwartungen an sich selbst nicht zu erfüllen, ist Frust vorprogrammiert. Viele Perfektionisten stresst es, wenn sie ihre Aufgaben nicht so erledigen können wie gewünscht.
- Die Angst vor Fehlern kann lähmend wirken. Wird der Perfektionismus von einer Versagensangst begleitet, kann sich das auch auf die Lebensqualität insgesamt auswirken.
- Bei Perfektionisten ist die Gefahr eines Burn-outs höher als bei anderen Beschäftigten.
- Perfektionisten sind oft übermäßig selbstkritisch. Dadurch können sie unzufriedener mit sich sein. Auch ihr Selbstbewusstsein kann darunter leiden.
Warum neigen manche Menschen zu Perfektionismus?
Warum sind manche Menschen perfektionistisch? Dabei spielen meist verschiedene Faktoren eine Rolle. Entscheidend ist neben der Persönlichkeit der Betroffenen auch, welche Erfahrungen jemand macht und in welchem Umfeld er sich bewegt.
Der Grundstein für Perfektionismus wird meist schon in der Kindheit gelegt. In vielen Fällen hatten die Eltern hohe Erwartungen an ihr Kind. Es wurde für gute Leistungen womöglich kaum gelobt, stattdessen aber übermäßig kritisiert, wenn es keine Bestleistungen erbracht hat. Nicht selten hingen elterliche Liebe und Zuneigung davon ab, welche Leistungen erbracht wurden. Auch wenn die Eltern selbst Perfektionisten waren, wird Perfektionismus wahrscheinlicher.
Perfektionismus ist eng mit der Persönlichkeit der Betroffenen verknüpft. Das Merkmal kann mit einem mangelnden Selbstbewusstsein einhergehen, aber auch mit dem Wunsch, jederzeit alles im Griff zu haben. Auch Ängste können ein Faktor sein. Viele Perfektionisten haben ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken. Sie sind entweder erfolgreich oder versagen, erbringen gute Leistungen oder schlechte – für Graustufen ist meist kein Platz. Ein solches Denken führt zu übertriebener Strebsamkeit.
Wie eine perfektionistische Neigung befördert werden kann
Eine perfektionistische Neigung kann im Laufe der Zeit stärker oder schwächer werden. Wie sich das Merkmal entwickelt, hängt von den Erfahrungen ab, die jemand macht. Wenn jemand sich von anderen abgelehnt fühlt, kann er das Gefühl bekommen, das mit guten Leistungen ändern zu können. Der Perfektionismus ist dann ein Mechanismus, um künftige Ablehnung zu vermeiden. Auch Traumata können manchmal die Ursache für eine perfektionistische Ader sein. Durch übermäßige Kontrolle wollen die Betroffenen negative Erfahrungen verhindern.
Darüber hinaus kann das Umfeld einen Unterschied machen: Wer zum Beispiel bereits in der Schule oder an der Universität die Erfahrung gemacht hat, dass sehr gute Leistungen erwartet werden, neigt womöglich eher zu Perfektionismus. Diesen Effekt können auch ehrgeizige Freunde, Kommilitonen oder Kollegen haben. Auch die Anforderungen des Arbeitgebers wirken sich aus.
Mögliche Auswirkungen von Perfektionismus im Job
Perfektionisten haben im Job oft viel Stress und negative Gefühle. Aufgaben, über die sich andere wenig Gedanken machen, zerdenken sie bis ins kleinste Detail. Es kann eine gefühlte Ewigkeit dauern, bis sie dazu bereit sind, eine Aufgabe offiziell abzuschließen. Das kann für Probleme sorgen, wenn wichtige Deadlines bevorstehen oder die Erwartungen des Arbeitgebers dadurch nicht erfüllt werden. An sich selbst überzogene Anforderungen zu haben, ist außerdem ein Rezept für eine geringe Zufriedenheit mit sich. Die Betroffenen können neidisch auf andere sein, zumal sie dazu neigen, ihre eigenen Leistungen nicht ausreichend anzuerkennen.
Perfektionismus im Job hat auch Auswirkungen auf Kolleginnen und Kollegen. Ein Perfektionist macht seine Aufgaben vielleicht gut, braucht dafür aber womöglich lange. Das kann Stress bei anderen verursachen, die auf die Zuarbeit dieser Kollegen angewiesen sind. Die Produktivität im Team kann ebenso sinken wie die Motivation. Vielleicht sind Kollegen frustriert oder es entstehen zwischenmenschliche Konflikte wegen der unterschiedlichen Herangehensweisen an die Arbeit.
Auch Arbeitgeber haben nicht selten darunter zu leiden, wenn sie Perfektionisten einstellen. Wenn diese länger brauchen als nötig, verringert sich die Produktivität. Die Verbissenheit von perfektionistischen Mitarbeitern kann die Stimmung in Teams verschlechtern – mit möglichen negativen Folgenfür die Mitarbeiterzufriedenheit. Schlimmstenfalls führt Perfektionismus indirekt zu mehr personellen Ausfällen und einer höheren Zahl an Eigenkündigungen.
Mit Perfektionismus umgehen: Tipps für Betroffene
Wenngleich Perfektionismus auch positive Effekte haben kann, ist er für Betroffene oft eher belastend als vorteilhaft. Dann ist es wichtig, eine Strategie im Umgang mit den überzogenen Erwartungen an sich selbst zu finden.
In erster Linie müssen Sie sich dafür darüber im Klaren sein, wie Sie denken und handeln. Wie ausgeprägt ist Ihr Perfektionismus? Wo und wie prägt er Ihr Verhalten? Und welche Folgen hat das? Je klarer Sie das sehen, desto besser können Sie sich darauf einstellen.
Grundsätzlich ist es wichtig, dass Sie an Ihren Denkstrukturen arbeiten. Dafür hilft es, wenn Sie sich Ihrer Gedanken möglichst oft bewusst sind. Wenn Sie Ihren Perfektionismus ablegen möchten, sollte es Ihr Ziel sein, Ihre Erwartungen auf ein realistisches Maß herunterzuschrauben. „Gut genug“ ist besser als „perfekt“. Eine solche Herangehensweise nimmt Ihnen viel Druck und kann sehr befreiend sein.
Perfektionisten haben zumeist große Angst, einen Fehler zu machen. Diese Angst sollten Sie ablegen. Dazu hilft ein Perspektivwechsel: Sehen Sie Fehler nicht als etwas Negatives, das unbedingt zu vermeiden ist. Fehler können sehr hilfreich sein, wenn man sie zum Anlass nimmt, daraus zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Fehler sollten für Sie kein Zeichen für Schwäche und Versagen sein. Seien Sie nachsichtig mit sich – erinnern Sie sich daran, dass auch andere Fehler machen.
Bewusst Kontrolle abgeben
Um Ihren Perfektionismus abzulegen, kann es helfen, ganz bewusst Kontrolle abzugeben. Entscheiden Sie sich dafür, etwas aus der Hand zu geben und darauf zu vertrauen, dass das Ergebnis trotzdem akzeptabel sein wird. Fangen Sie im Kleinen an: Mit der Delegation von Aufgaben, die keinen allzu großen Stellenwert haben, können Sie üben. Halten Sie die negativen Gefühle aus, die der Kontrollverlust in Ihnen weckt. Mit der Zeit wird es Ihnen leichter fallen.
Viele Perfektionisten glauben, dass ihr Wert als Person davon abhängt, was sie machen und erreichen. Wenn es Ihnen auch so geht, sollten Sie versuchen, eine andere Sichtweise zu entwickeln. Den wichtigen Menschen in Ihrem Leben sind Sie hoffentlich auch dann viel wert, wenn Sie mal nicht perfekt funktionieren. Auch Ihr Ruf beim Arbeitgeber ist wahrscheinlich nicht komplett hinüber, wenn Sie mal einen Fehler machen. Vertrauen Sie darauf, dass andere Sie als Person schätzen, statt nur auf Ihre Leistungen zu schauen.
Wenn Ihr Perfektionismus viel Druck für Sie bedeutet, kann auch professionelle Unterstützung hilfreich und wichtig sein. Im Rahmen einer Therapie können Sie lernen, Ihre Denkweisen zu ändern und sich anders zu verhalten.
Überlegen Sie, was in Ihrem Fall zur Überwindung von Ihrem Perfektionismus sinnvoll sein könnte. Wichtig ist, mit realistischen Erwartungen an die eigenen Bemühungen heranzugehen. Sie werden nicht in kürzester Zeit das Gegenteil von Perfektionismus, die totale Gelassenheit und Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheit, erreichen. Wenn Sie dranbleiben, können Sie aber womöglich schon bald Fortschritte feststellen.
Perfektionismus überwinden mit Unterstützung durch das Umfeld
Wenn Sie Ihren Perfektionismus ablegen möchten, sind Sie dabei nicht auf sich allein gestellt. Andere Menschen können Sie dabei unterstützen. Um das zu ermöglichen, müssen Sie sich anderen öffnen. Sprechen Sie ehrlich über Ihre Denkweisen und Erwartungen an sich selbst, etwa mit Freunden, Kollegen oder Vorgesetzten.
Ihr Umfeld kann Ihnen dabei helfen, Ihre unrealistischen Erwartungen an sich zu verändern. Es kann Sie dabei unterstützen, Grenzen zu setzen und darauf zu achten, dass es Ihnen gut geht – durch echtes Abschalten von der Arbeit in Ihrer Freizeit zum Beispiel. Wenn andere wissen, wie es Ihnen geht, können sie auch auf ihre Wortwahl achten, wenn sie Sie um etwas bitten. Sie können dabei deutlich(er) machen, dass „gut genug“ völlig ausreichend ist.
Es kann auch helfen, sich bei Ihren Erwartungen an sich selbst ein Beispiel an anderen zu nehmen. Vielleicht gibt es in Ihrem Umfeld Menschen, die Sie schätzen, die nachsichtig mit sich sind und realistische Vorstellungen von ihren Leistungen und Kapazitäten haben. Wenn anderen Ihnen vorleben, wie es ist, die eigenen Grenzen und Schwachstellen zu akzeptieren, kann das einen wichtigen Lernprozess anstoßen und befördern.
Mit dem Arbeitgeber offen über Ihren Perfektionismus zu sprechen, ist besonders wichtig, wenn auch der Arbeitgeber viel Druck macht. Ein verständnisvoller Vorgesetzter kann seine Anforderungen an Sie mit mehr Fingerspitzengefühl formulieren, um Ihren Stress zu verringern.
Perfektionismus: Das Wichtigste in aller Kürze
- Perfektionistische Menschen streben in übertriebenem Maße nach Perfektion. Ihre Anforderungen an sich selbst sind überzogen und oft unrealistisch.
- Perfektionismus kann Vorteile mit sich bringen, zum Beispiel durch eine höhere Motivation und bessere Leistungen im Beruf. Er kann aber auch viel Stress verursachen und von hohem Druck begleitet werden.
- Im Job kann Perfektionismus zum Beispiel dazu führen, dass jemand für Aufgaben länger braucht als nötig. Das kann seinen Karrierechancen schaden.
- Schuld an einer perfektionistischen Neigung sind neben der Persönlichkeit der Betroffenen oft Erfahrungen seit der Kindheit. Auch Erwartungen und Verhaltensweisen der Eltern können sich auswirken.
- Es ist schwer, aber nicht unmöglich, den eigenen Perfektionismus zu überwinden. Wichtig dabei ist, die eigenen Denkmuster klar zu erkennen und bewusst zu verändern. Dabei kann die Unterstützung anderer Menschen wertvoll sein.
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