Gruppendynamik: Gruppendynamische Prozesse erkennen und positiv beeinflussen
Nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben gehören Menschen verschiedenen Gruppen an. Die Gruppendynamik bestimmt darüber, wie die Mitglieder einer Gruppe miteinander agieren und sich gegenseitig beeinflussen. Im Sinne einer guten Zusammenarbeit sollte die Gruppendynamik möglichst positiv sein. Wie lässt sie sich gezielt beeinflussen? Und welche Faktoren spielen eine Rolle?
Gruppendynamik: Was ist das?
Gruppendynamiken sind im privaten und beruflichen Alltag in vielen Situationen zu spüren. Aber was genau ist damit überhaupt gemeint? Von einer Gruppe kann man nach Ansicht des Hamburger Diplom-Psychologen Eberhard Stahl nur sprechen, wenn es ein zielgerichtetes Miteinander gibt. Aus der Interaktion in der Gruppe ergibt sich eine Gruppendynamik.
Der Duden definiert Gruppendynamik als „Zusammenwirken, wechselseitige Beeinflussung der Mitglieder einer Gruppe“. Ebenso kann damit die Wissenschaft von der Gruppendynamik gemeint sein. Der Begriff Gruppendynamik wurde vom deutschen Sozialpsychologen Kurt Lewin im Jahr 1939 geprägt. Lewin ging davon aus, dass eine Gruppe mehr ist als nur die Summe der Individuen, die ihr angehören.
Mit der Gruppendynamik gehen gruppenspezifische Verhaltensweisen und Normen, Werte und Einstellungen einher. Ebenso ergeben sich bestimmte Rollen, Strukturen und Hierarchien aus dem Miteinander der verschiedenen Mitglieder der Gruppe. Die Prozesse, die sich auf die Gruppendynamik auswirken, laufen automatisch ab; sie lassen sich nicht verhindern und nur bedingt beeinflussen.
Gruppendynamische Prozesse: Wie entwickeln sich Gruppendynamiken?
Wenn die verschiedenen Mitglieder einer Gruppe miteinander interagieren und mit ihren unterschiedlichen Werten, Bedürfnissen und Zielen aufeinandertreffen, beeinflussen sie sich gegenseitig. Dadurch bilden sich gemeinsame Einstellungen und Wertvorstellungen, Verhaltensnormen und Beziehungs- und Machtgeflechte heraus. Das passiert nicht offensichtlich, sondern latent, so dass die gruppendynamischen Prozesse den Individuen meist nicht bewusst sind.
In der Psychologie werden drei zentrale Aspekte von gruppendynamischen Prozessen unterschieden. Einerseits kristallisiert sich dabei heraus, wer Macht und Einfluss in einer Gruppe hat. Andererseits spielen die Faktoren Nähe und Distanz eine wichtige Rolle: Wie nah sind sich die Mitglieder, wie nah müssen sie sich sein? Und schließlich kommt es auf die Zugehörigkeit zur Gruppe an: Wer gehört dazu und ist damit innen, wer ist außen vor und nicht Teil der Gruppe?
Anpassungsdruck in Gruppen
In Gruppen herrscht immer ein gewisser Konformitätsdruck. Die Mitglieder stehen unter Druck, sich an das Verhalten beziehungsweise die Einstellungen der Mehrheit anzupassen, damit sie nicht negativ auffallen. Was die Mehrheit vorlebt, hat damit das Potenzial, das Verhalten der einzelnen Mitglieder zu beeinflussen – auch wenn diese das gar nicht bewusst erleben. Menschen neigen in Gruppen dazu, sich der Mehrheit anzupassen, weil sie entweder glauben, dass die anderen schon wissen werden, was sie tun, oder weil sie dazugehören möchten. Dabei spielt der Wunsch, anerkannt und gemocht zu werden, eine entscheidende Rolle.
Gruppendynamische Prozesse finden nicht einmal statt und sind dann abgeschlossen. Wenn eine Gruppe sich zusammenfindet, ist die damit verbundene Gruppendynamik als fortlaufender Prozess zu verstehen. Die Gruppe ist kein unveränderliches statisches Gebilde, sondern befindet sich durch verschiedenste Mechanismen und Entwicklungen stetig im Wandel.
Gruppendynamik: Phasen
Die Entstehung einer Gruppendynamik im Rahmen von Teambuilding läuft laut dem US-amerikanischen Psychologen Bruce W. Tuckman in fünf Phasen ab. Die fünf Gruppendynamik-Phasen sind demnach:
- Orientierungsphase: Die Mitglieder lernen sich kennen und müssen sich in der Gruppe zurechtfinden
- Auseinandersetzung um Positionen und Rollen: Diese Phase ist oft von Diskussionen begleitet, außerdem können Konflikte auftreten
- Herausbildung von Gruppennormen: Die Mitglieder der Gruppe einigen sich auf bestimmte Normen und schließen Kompromisse
- Phase der Arbeitsfähigkeit: Wenn die Rahmenbedingungen und Machtverhältnisse geklärt sind, kann die Gruppe konstruktiv zusammenarbeiten, um ihre Ziele zu erreichen
- Phase der Trennung: Wenn die Ziele erreicht wurden, endet die Zusammenarbeit in der Gruppe
Gruppendynamische Rollen
Wenn sich Gruppen bilden, nehmen die darin befindlichen Individuen verschiedene Rollen ein. Gruppen sind damit ein Geflecht mehrerer miteinander verbundener sozialer Rollen. Wie die einzelnen Rollen verteilt sind, beeinflusst die Entwicklung der Gruppendynamik.
Der österreichische Psychoanalytiker Raoul Schindler, der die Forschung um Gruppendynamiken maßgeblich geprägt hat, differenziert die folgenden gruppendynamischen Rollen in einer Gruppenhierarchie:
- Alpha: Der Leiter der Gruppe, etwa eine Führungskraft, die die Gruppe offiziell leitet
- Beta: Ein inoffizieller Anführer mit gehobener Stellung; seine Rolle kann sich durch seine Kompetenzen, Erfahrungen oder seine allgemeine Stellung im Team ergeben haben
- Gamma: Mitläufer in Form von einfachen Gruppenmitgliedern, die mal zustimmen, mal Bedenken äußern und mal verhandeln
- Omega: Der Gegenpol zu Alpha und ein Störfaktor in der Gruppe; oft ein Rivale des Alphas, der ebenfalls ein gewisses Machtpotenzial besitzt
Negative Gruppendynamik vs. positive Gruppendynamik
Ist von Gruppendynamik die Rede, ist das oft negativ behaftet – zum Beispiel dann, wenn eine ganze Gruppe sich nach Ansicht Außenstehender falsch verhalten hat und das bekannt geworden ist. Ebenso kann die Gruppendynamik aber auch positiv sein. Die Umstände bestimmen darüber, ob sich eine negative Gruppendynamik oder eine positive Gruppendynamik entwickelt. Wie die Gruppe sich zusammensetzt und wie sie geleitet wird, sind dabei entscheidende Faktoren.
Es kommt immer wieder vor, dass die Mitglieder einer Gruppe konstruktiv zusammenarbeiten. Sie bringen sich mit ihren jeweiligen Fähigkeiten, Kompetenzen und Ideen ein und ergänzen sich dabei. Ein Beispiel ist eine Arbeitsgruppe, die aus geeigneten Menschen aus verschiedenen Abteilungen zusammengesetzt ist, in der die Zusammenarbeit gut ist und die die gewünschten Ergebnisse zeitigt. Die Mitglieder fühlen sich als Teil der Gemeinschaft und identifizieren sich mit der Gruppe, weshalb sie unmittelbar interessiert an einer positiven Entwicklung sind.
Wann eine negative Gruppendynamik entstehen kann
Es gibt aber auch weniger positive Gruppendynamik-Beispiele. Eine negative Gruppendynamik kann das Resultat unterschwelliger oder offener Konflikte sein, sie kann aber auch mit einer unpassenden Zusammensetzung der Gruppe zusammenhängen – zum Beispiel, wenn die Mitglieder nicht über ausreichendes Wissen verfügen, um gute Lösungen entwickeln zu können. Auch mangelnde oder falsche Führung kann zu einer negativen Gruppendynamik führen.
Ein Beispiel für eine negative Gruppendynamik wäre eine Gruppe mit einem mächtigen Anführer, der auf Widerspruch gereizt reagiert. Unter solchen Umständen kann für die Mitglieder großer Druck entstehen, sich der Meinung des Leiters beziehungsweise der Mehrheit anzupassen. Es wird gemacht, was die Leitung sagt, und niemand traut sich, abweichende Meinungen zu äußern. Das kann zu einer schlechten Teamperformance und schlechteren Ergebnissen insgesamt führen.
Gruppendynamik positiv beeinflussen: Wie geht es?
Welche Gruppendynamik sich etabliert, ist in hohem Maße von der Art und Weise abhängig, in der die Gruppe organisiert und geleitet wird. Somit hat der Leiter einer Gruppe eine entscheidende Rolle. Er bestimmt darüber mit, ob sich das Teamwork verbessert, d.h., die Zusammenarbeit in der Gruppe konstruktiv verläuft oder nicht, wie die Teamperformance sich entwickelt und ob Ziele erreicht werden.
Auch, ob die Mitglieder kreative Ideen entwickeln, engagiert und motiviert dabei sind, hängt von der Führung ab. Nicht zuletzt ist eine positive Gruppendynamik wichtig, weil die Gruppendynamik auch auf das weitere Team Einfluss haben kann. Ist die Stimmung in der Gruppe schlecht, kann das zum Beispiel zu einer Verschlechterung des Betriebsklimas führen. Wie kann man dem vorbeugen – und dafür sorgen, dass die Individuen und die Gruppe als Ganzes ihr Potenzial voll ausschöpfen?
Organisation und Zusammensetzung von Gruppen
Wer eine Gruppe leitet, sollte sich im Vorfeld Gedanken darüber machen, von welchen Mitgliedern die Gruppe am besten profitieren kann. Es ist sinnvoll, auf eine heterogene Zusammensetzung zu achten. Personen mit unterschiedlichen Hintergründen können sich positiv ergänzen und gegenseitig neue Impulse geben. Es sollte kritisch hinterfragt werden, ob die angedachten Mitglieder die nötigen Fähigkeiten, aber auch die Motivation und die Persönlichkeit mitbringen, um sich gut in die Gruppe einbringen zu können.
Nicht nur die Eignung der einzelnen Mitglieder ist entscheidend, sondern auch, wie die verschiedenen Individuen aufeinander reagieren könnten. Wo könnten sie sich möglicherweise ergänzen, wo könnte es Konflikte geben?
Abgesehen von den Mitgliedern an sich kommt es auch auf die Zahl der Mitglieder an. Eine Gruppe sollte nicht zu viele Mitglieder haben. Je mehr Mitglieder es sind, desto größer ist die Gefahr, dass es zu Konflikten kommt, außerdem wird es schwieriger, Kompromisse zu finden, mit denen alle einverstanden sind.
Bei sehr vielen Mitgliedern steigt zudem das Risiko, dass sich einzelne Individuen herausziehen und sich nicht so einbringen, wie sie es theoretisch könnten. Dadurch kann die Teamperformance leiden. Die Leistung der einzelnen Mitglieder sollte immer so sichtbar wie möglich sein, um Inaktivität zu vermeiden und die Motivation der Beteiligten zu steigern. Praktisch sollte die personelle Obergrenze in einer Gruppe für eine konstruktive Zusammenarbeit bei acht Personen liegen.
Gute Führung: Was zeichnet sie aus?
Neben der Planung spielt die Ausführung die entscheidende Rolle bei der Frage, ob sich eine positive oder negative Gruppendynamik entwickelt. Hier ist wiederum die Führungsperson gefragt, die ihre Gruppe so gut wie möglich anleiten sollte. Wie das am besten geht, hängt davon ab, in welcher Phase des Teambuildings sich die Gruppe befindet.
In der Orientierungsphase ist es wichtig, eine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Gruppe zu schaffen. Der Gruppenleiter sollte die gemeinsamen Ziele erläutern, der Gruppe Orientierung geben und sie aktiv steuern. Wichtig ist, dass Führungskräfte nicht zu schnell zu viel erwarten. Keine Gruppe ist von der ersten Minute an voll einsatzfähig. Es müssen immer erst Dinge geklärt und implizite und explizite Übereinkünfte getroffen werden.
In der darauffolgenden Phase der Auseinandersetzungen um Positionen und Rollen sollte der Leiter Konflikte ruhig zulassen und versuchen, die Gruppe dabei zu unterstützen, sie konstruktiv zu lösen. Er kann auch als Mediator fungieren und helfen, Brücken zwischen den Meinungen der verschiedenen Teilnehmer zu schlagen.
Virtuelle Teams: Veränderte Rahmenbedingungen beeinflussen die Gruppendynamik
Es ist wichtig, dass die Führungskraft sich auf die Individuen in der Gruppe einstellt und mit ihnen in ihren verschiedenen Rollen konstruktiv zusammenarbeiten kann. Das gilt im Speziellen für Personen, die die Beta- beziehungsweise die Omega-Rolle einnehmen. Gruppenleiter sollten Betas als Ergänzung statt als Konkurrenten sehen. Bei Omegas ist entscheidend, wie man mit ihnen umgeht, wie weit man sie gehen lässt und wo man ihnen mit Fingerspitzengefühl Grenzen setzt.
Die Führungskraft hilft der Gruppe in der Konsolidierungsphase dabei, sich auf gemeinsame Normen und Vorgehensweisen zu einigen. Dabei sollte in den Vordergrund gerückt werden, was die verschiedenen Mitglieder verbindet. In der Phase der Arbeitsfähigkeit sorgt der Leiter dafür, dass die Ziele nicht aus dem Blick geraten. Er überwacht den Fortschritt und fördert die einzelnen Mitglieder gezielt. Während der Zusammenarbeit sollte die Führungsperson darauf achten, einerseits Teil der Gruppe zu sein, aber dennoch einen gewissen Abstand zu wahren, um eine übergeordnete Rolle einnehmen zu können.
Wie die Gruppendynamik am besten beeinflusst werden kann, ist auch abhängig davon, wie die Zusammenarbeit konkret ausgestaltet wird. Es gibt immer häufiger virtuelle Teams und Gruppen, bei denen die Treffen selten oder gar nicht persönlich stattfinden. Hier sind die gruppendynamischen Prozesse anders als bei Face-to-Face-Meetings. Die Mitglieder der Gruppe sehen sich nicht direkt und nonverbale Signale in Form von Mimik und Gestik treten in den Hintergrund. Dadurch verläuft die Rollenverteilung oft anders. Wer eine Gruppe leitet, muss sich auf diese Unterschiede einstellen, um die Gruppendynamik optimal steuern zu können.
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