Aussteiger: Wie sich das Leben als Aussteiger gestaltet

Viele Menschen fühlen sich im Hamsterrad des Alltags gefangen. Immer im Stress, immer „on“, tausend Verpflichtungen, keine Zeit zum Leben. So geht es vielen Menschen, doch es geht auch anders: Manche Menschen entscheiden sich zum Ausstieg aus dem System. Sie denken ihr Leben neu und gestalten es so, wie es ihnen wirklich gefällt, und nicht, wie andere es von ihnen erwarten. Wie kann man als Aussteiger leben? Und für wen eignet sich das Modell? Das erfahren Sie hier.

Ein Mann sitzt im Wohnwagen, was ist ein Aussteiger?

Aussteigen – was bedeutet das eigentlich?

Der Weg durchs Leben scheint oft vorherbestimmt: Man geht zur Schule. Man studiert oder macht eine Ausbildung. Man sucht sich einen Job, heiratet vielleicht und bekommt Kinder. Und bis zur Rente ackert man unermüdlich immer weiter. Viele Menschen folgen automatisch mehr oder weniger diesem gesellschaftlich vorgezeichneten Weg. Es geht aber auch anders – man kann auch aus diesen starren Strukturen und dem gesellschaftlichen Leben ausbrechen und aussteigen.

Aussteiger verweigern sich dem „normalen“ Weg und gehen stattdessen ihren eigenen Weg. Wie das konkret aussieht, kann sich von Person zu Person unterscheiden. Gemein ist Aussteigern, dass sie mit Konventionen brechen und für sich überlegen, was ein lebenswertes Leben auszeichnet. Sie scheuen sich nicht davor, aus ihren Erkenntnissen die nötigen Konsequenzen zu ziehen und einen alternativen Lebensentwurf zu entwickeln. Dieser Lebensentwurf sieht oft ganz anders aus als bei der Masse.

Was Menschen am Aussteigen aus der Gesellschaft reizt

Aussteiger? Bei diesem Wort dachten wohl viele Menschen früher an einsame Sonderlinge, die aus dem System ausgestiegen waren. So mancher sah Aussteiger als Versager, die es nicht geschafft haben, in der Gesellschaft erfolgreich zu sein, und deshalb eine Randexistenz hatten. Solche Menschen wurden oft bestenfalls belächelt, schlimmstenfalls sprach man abfällig über sie oder grenzte sie bewusst aus.

Inzwischen hat sich das Bild vom Aussteiger gewandelt. Man könnte sogar sagen: Das Aussteigen, zumindest in bestimmten Formen, liegt im Trend. Das hängt mit veränderten Wertvorstellungen vor allem vieler jüngerer Menschen zusammen, die oft andere Lebensansätze haben als ältere Generationen. Der Wunsch vieler nach einer Vier-Tage-Woche etwa kommt nicht von ungefähr: Viele Menschen sehen Arbeit nicht mehr als das Nonplusultra der eigenen Existenz. Arbeit wird vielmehr immer häufiger als Mittel zum Zweck verstanden – in dem Gedanken, dass es mehr im Leben gibt als Arbeit. Dass Arbeit wertvolle Lebenszeit kostet und deshalb entweder sinnstiftend sein oder so wenig Raum wie nötig einnehmen sollte.

Selbst entscheiden, wie man die eigene Lebenszeit nutzt

Viele Menschen überdenken ihren Lebensentwurf – und das Lebensmodell, das die Gesellschaft ihnen implizit vorschreibt. Sie möchten nicht einfach einem vorgefertigten, ausgetretenen Pfad folgen, sondern für sich selbst entscheiden, was sie sich unter einem guten Leben vorstellen. Vor dem Hintergrund eines oft stressigen und auf Dauer zermürbenden Alltags fragen sich viele, ob es nicht eine Alternative gibt, mit der sie glücklicher sind. Selbstbestimmt zu leben hat für viele Menschen einen hohen Stellenwert, denn die Lebenszeit ist bekanntlich begrenzt.

Andere Menschen träumen vom Ausstieg aus der Gesellschaft, weil sie sich nach Ruhe und Abgeschiedenheit sehnen. Überquellende Großstädte, wo Menschen dicht an dicht leben, sind ihnen ein Graus. Solchen Menschen geht es oft weniger darum, als Aussteiger aus ihrem bisherigen Alltag auszubrechen, sondern in einer anderen Umgebung zu leben – zum Beispiel in einer abgeschiedenen Finca auf Mallorca statt inmitten einer hektischen Großstadt.

Aussteigen aus dem System: Wie das aussehen kann

Aussteigen – wie kann das konkret aussehen? Hierfür gibt es ganz unterschiedliche Modelle. Manche Aussteiger verabschieden sich zeitweise aus ihrem bisherigen Leben und vom bekannten Lebensentwurf. Für andere gilt die Entscheidung dauerhaft; sie möchten den Rest ihres Lebens als Aussteiger leben.

Womöglich denken Sie bei Aussteigern an die Instagrammer, YouTuber und anderen Influencer, die in einem Van leben und einfach immer weiterziehen, Stichwort digitale Nomaden. Das ist ein Modell, aus dem System auszusteigen. Solche Aussteiger halten sich häufig im Ausland auf und reisen herum, wobei es nicht nötig ist, weit weg zu leben oder Deutschland überhaupt zu verlassen. Man kann auch hierzulande als Aussteiger leben.

Gemein ist vielen Aussteigern, dass ihnen Erfahrungen wichtiger sind als sich für einen Arbeitgeber abzurackern, dem sie letztendlich egal sind. Sie möchten leben und nicht den Großteil ihres Lebens mit Arbeit verbringen. Das kann bedeuten, dass ihre Lebensweise minimalistisch ist, damit ihre Kosten niedrig bleiben. Sie haben dadurch weniger Druck, hohe Einnahmen zu erwirtschaften. Wenn sie dann noch in einem Land leben, wo die Lebenshaltungskosten niedriger sind als hierzulande, ist oft ein günstiges Aussteigerleben möglich.

Wie leben Aussteiger?

Aussteiger zu sein kann bedeuten, in einem Tiny House zu leben oder ein Wohnmobil zum dauerhaften Zuhause zu machen. Ebenso könnte jemand als Aussteiger jedoch auch in einer Wohnung wohnen oder ein Haus besitzen, in der Regel eher in ländlichen Gebieten als mitten in der Stadt. Manche Aussteiger leben ihren Ausstieg aus der Gesellschaft sehr konsequent und versorgen sich selbst, etwa mit Solaranlagen und dem Anbau von eigenem Obst und Gemüse.

Auch was den Job angeht, gibt es zwischen Aussteigern große Unterschiede. Manche arbeiten gar nicht oder sehr wenig. Andere machen sich selbstständig mit etwas, das ihnen Freude macht und das sie auf einem niedrigschwelligen Niveau ausüben. Oder sie steigen aus, nachdem sie dank beruflichem Erfolg viel Geld zurückgelegt und gewinnbringend angelegt haben.

Diese Risiken gehen mit einem Ausstieg einher

Es kann verlockend sein, über einen Ausstieg aus der Gesellschaft nachzudenken – vor allem, wenn man dabei schöne Fotos von Instagram und Co im Kopf hat, auf denen Menschen als Aussteiger (scheinbar) ihren Traum leben. Von schönen Bildern allein sollten Sie sich aber nicht leiten lassen. In sozialen Netzwerken ist vieles eine Scheinwelt. Zu sehen bekommen Sie schließlich nur die positiven Dinge. Ein Van ist mit etwas Vorbereitung schnell so fotografiert, dass er einladend und gemütlich aussieht. Wie es tatsächlich ist, ohne Bad und Küche auf engstem Raum zu leben, erfahren Sie dadurch nicht. Dasselbe gilt für Tiny Homes: Was hübsch aussieht, muss nicht praxistauglich sein. Es macht einen Unterschied, ob Sie für einen Urlaub planen oder für Ihr weiteres Leben.

Die größte Gefahr als Aussteiger besteht darin, dass sich Ihre Vorstellungen nicht mit der Wirklichkeit decken. Wenn Sie Ihren Lebensentwurf bei Bedarf schnell wieder verändern können, ist das womöglich abgesehen von enttäuschten Erwartungen kein größeres Problem. Anders sieht es aber aus, wenn Sie Ihre Zelte abgebrochen haben und nun nicht mehr zurückkönnen. Dann sitzen Sie womöglich unglücklich im Ausland, weil Sie festgestellt haben, dass das Gras anderswo doch nicht grüner ist. Selbst vermeintliche Traum-Destinationen sind nicht immer das perfekte Dauer-Zuhause. Ein Beispiel: So mancher Auswanderer hat sich nach ständiger Sonne und dauerhaft warmen Temperaturen gesehnt. Vor Ort stellt er aber fest, dass der Wechsel der Jahreszeiten auch etwas für sich hat.

Auch finanziell birgt ein Aussteiger-Dasein gewisse Risiken. Vielleicht haben Sie als Aussteiger nur sehr wenig Geld zur Verfügung und stellen fest, dass das die geringen Reserven Stress bei Ihnen auslösen. Die Risiken, die mit dem Leben als Aussteiger verbunden sein können, können Sie mindern, indem Sie sich Ihr Vorhaben gut überlegen. Was Sie bei Ihren Überlegungen bedenken sollten, erfahren Sie im nächsten Abschnitt. 

Aussteiger werden? Das sollten Sie bedenken

Der Gedanke kann reizvoll sein: Alles hinter sich lassen, mit den gängigen Konventionen brechen und sein eigenes Ding machen. Ob sich dieser Lebensentwurf für Sie eignet, sollten Sie sich aber gut überlegen. Ihre Entscheidung, als Aussteiger zu leben, sollte durchdacht sein – vor allem, bevor Sie Nägeln mit Köpfen machen, indem Sie Ihren Job kündigen oder Ihr Haus verkaufen. Für wen eignet sich das Modell?

Entscheidend ist, dass Sie realistische Vorstellungen vom Leben als Aussteiger haben und nicht nur die Vorteile, sondern auch die Nachteile kennen, die damit verbunden sein können. Es nützt Ihnen nichts, wenn Sie romantische Vorstellungen vom Aussteigerleben haben und das Dasein als Aussteiger durch die rosarote Brille betrachten. Setzen Sie sich deshalb intensiv mit den Risiken auseinander, die Sie als Aussteiger betreffen könnten. Dabei ist wichtig, dass Sie nicht nur von sich selbst ausgehen.

Oft betrifft das Leben als Aussteiger noch andere Personen. Wenn Sie Ihr Vorhaben alleine starten möchten, müssen nur Sie mit den Konsequenzen Ihrer Entscheidungen leben. Haben Sie einen Partner, ist es schon schwieriger. Noch schwieriger ist es mit Kindern oder wenn andere Menschen wie zum Beispiel pflegebedürftige Angehörige von Ihnen abhängen. Welche Folgen hätte Ihr Aussteigerleben für sie?

Frühzeitig klären sollten Sie die Finanzierung Ihres Vorhabens. Berechnen Sie realistisch, welche einmaligen und laufenden Kosten auf Sie zukommen könnten. In manchen Ländern sind die Lebenshaltungskosten deutlich niedriger als in Deutschland, in anderen Ländern ist es hingegen ähnlich teurer oder sogar teurer. Wovon wollen Sie leben? Haben Sie Rücklagen, die Sie als Aussteiger nutzen können? Wollen Sie in Teilzeit arbeiten? Oder haben Sie eine eigene Firma, bei der Sie nicht mehr ständig präsent sein müssen, weil auch ohne Sie alles läuft?

Aussteiger-Tipps: So klappt es mit dem Aussteigerleben

Sie haben fest vor, als Aussteiger zu leben. Wie geht man so ein Vorhaben an? Zunächst einmal sollten Sie sich das Ganze reiflich überlegt haben. Holen Sie sich im Vorfeld so viele Informationen wie möglich ein und prüfen Sie Ihre Optionen. Es kann hilfreich sein, Erfahrungsberichte anderer zu lesen oder sich direkt mit anderen auszutauschen, zum Beispiel über ein Forum im Internet. Befassen Sie sich auch mit den Nachteilen, die das Aussteigerleben haben kann. So sind Sie vorbereitet und gehen nicht mit falschen Vorstellungen an die Sache heran.

Klären Sie möglichst früh, wie Sie Ihr Leben als Aussteiger finanzieren werden. Wollen Sie noch arbeiten, und wenn ja, in welchem Job und wie viele Stunden pro Woche? Es kann sinnvoll sein, sich Ihr neues Leben bildlich vorzustellen: Wie lebt es sich als Aussteiger? Wodurch ist ihr Leben geprägt? Dazu müssen Sie sich mit Ihren Zielen auseinandersetzen und sich klarmachen, wo Ihre Prioritäten liegen.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um die nötigen Schritte für den Ausstieg aus der Gesellschaft zu gehen? Das ist individuell. Manchmal bietet sich ein bestimmter Zeitpunkt an, weil durch veränderte Lebensumstände ohnehin vieles in Bewegung ist. Vielleicht hat sich Ihr Partner von Ihnen getrennt, die Kinder sind ausgezogen oder Sie haben Ihren Job verloren.

Oder Sie stecken mitten in einer Sinnkrise. In solchen Situationen sind viele Menschen eher bereit, Risiken in Kauf zu nehmen. Davon abgesehen ist es grundsätzlich gut, wenn Sie gravierende Lebensveränderungen nicht impulsiv und spontan angehen, sondern sich den richtigen Zeitpunkt gut überlegen. Wenn es soweit ist, ist es an Ihnen, den nötigen Mut aufzubringen und den Sprung ins Ungewisse zu wagen.

Das Aussteigerleben vorher ausprobieren

Wenn möglich, kann eine Testphase sehr aufschlussreich sein. Vielleicht haben Sie die Möglichkeit, einen längeren Urlaub zu machen oder eine Auszeit im Job einzulegen, um Ihr mögliches neues Leben eine Zeit lang auszuprobieren. Vorstellungen und Realität haben oft wenig miteinander gemein, was Sie bei so einem Test schnell feststellen werden. Sie merken dann vielleicht, dass Sie Ihre Freunde vermissen oder Ihr strukturierter Alltag Ihnen fehlt. Vielleicht vermissen Sie Ihre Heimat oder bestimmte Annehmlichkeiten, die Sie vorher hatten. Solche Erfahrungen helfen Ihnen bei der Entscheidung, ob Sie wirklich als Aussteiger leben möchten und wenn ja, in welcher Form.

Stellen Sie sich darauf ein, dass Ihr Aussteigerleben nicht rundum wunderbar sein wird. In Ihrem Alltag wird es sicherlich nicht nur glückliche Momente geben. Besonders riskant ist es, als Aussteiger vor Problemen wegzulaufen. Durch Ihre veränderten Lebensumstände werden Sie zwar abgelenkt, aber wenn Sie Ihre Probleme nicht lösen, werden sie Sie verfolgen – auch ans andere Ende der Welt.

Befassen Sie sich vor größeren Veränderungen auch damit, welche Alternativen es geben könnte. Könnten Sie Ihr Leben in einer Art und Weise verändern, durch die Sie nicht gleich aussteigen müssten? Mögliche Ansätze sind ein Jobwechsel, ein geringeres Arbeitspensum, eine Trennung vom Partner, ausgedehnte Urlaube, neue Hobbys oder ein veränderter Alltag. Manchmal reichen solche Veränderungen schon aus, damit Sie mit Ihrem Leben wieder zufriedener sind.

Bildnachweis: Zephyr_p / Shutterstock.com

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