Ankereffekt: So nutzen Sie die Ankerheuristik im Job
„Chef, ich brauch mehr Geld, 10.000 Euro mehr!“ Was zunächst vielleicht wie ein Scherz wirkt, kann tatsächlich klappen. Grund dafür ist der sogenannte Ankereffekt. Der besagt, dass unsere Entscheidungen von äußeren Faktoren beeinflusst werden – und zwar vollkommen unbewusst. In der Werbung und im Verkauf wird der Ankereffekt daher sehr gerne genutzt. Und Sie können ihn auch für die nächste Gehaltsverhandlung nutzen. Wir verraten Ihnen, wie das gelingen kann.
Definition Ankereffekt: Was versteht man darunter?
Der Ankereffekt, der auch als Ankerheuristik oder im Englischen als anchor effect bezeichnet wird, gehört zu den kognitiven Verzerrungen. Diese Verzerrungen werden auch Bias genannt und können ganz gut mit unserem Wort „Trugschluss“ beschrieben werden.
So auch der Ankereffekt. Auch er ist immer wieder Gegenstand der Psychologie. Untersucht wird dabei, inwieweit wir uns von dem Effekt beeinflussen lassen, wenn wir Entscheidungen treffen.
Denn dass dieser Effekt vor allem bei unseren Entscheidungen eine Rolle spielt, haben die beiden US-amerikanischen Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky schon in den 60er Jahren gezeigt. Kahneman bekam für seine Forschung im Jahr 2002 sogar den Nobelpreis.
Vereinfacht gesagt, besagt der Ankereffekt, dass wir uns unbewusst von äußeren Faktoren beeinflussen lassen, wenn wir Entscheidungen treffen. Und das auch dann, wenn diese äußeren Faktoren in überhaupt keinem Zusammenhang mit der eigentlichen Entscheidung stehen.
Ankerheuristik: ein Beispiel für den psychologischen Effekt
Bekannt wurde folgendes Experiment der „Entdecker“ des Ankereffekts Hahnemann und Tversky: In ihrer Studie sollten die Teilnehmer die Anzahl der afrikanischen Staaten schätzen. Doch bevor die Teilnehmer ihre Schätzung abgeben durften, sollten sie an einem Rad mit verschiedenen Zahlen drehen. Das Ergebnis: Je höher die Zahl war, die sie an dem Rad erdrehten, umso höher war ihre Schätzung.
Das Verblüffende dabei: Die Zahl auf dem Rad steht natürlich in überhaupt keinem Zusammenhang mit der Anzahl an afrikanischen Staaten, die existieren. Trotzdem ließen sich die Teilnehmer von der Zahl auf dem Rad beeinflussen.
Das ist die Kernaussage des Ankereffekts: Unsere Entscheidungen werden von Informationen beeinflusst, die scheinbar willkürlich sind. Das ist aber noch nicht alles. Denn die Informationen sind nicht nur willkürlich, sie können rein zufällig oder bewusst eingesetzt werden, um unsere Entscheidungen zu beeinflussen.
In diesem Sinne kann der Ankerkeffekt auch dazu genutzt werden, unser Gegenüber zu manipulieren oder zumindest in die Richtung zu lenken, die uns am günstigsten erscheint.
Weitere Beispiele für den Ankereffekt
Aus der Psychologie wissen wir, dass der Ankereffekt auch dann wirkt, wenn wir ihn kennen. Es ist also gar nicht möglich, sich vor ihm zu schützen. Auch dann nicht, wenn Sie wissen, wie der Effekt funktioniert. Das macht ihn so mächtig und führt dazu, dass es gerne genutzt wird, um unsere Entscheidungen in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Zum Beispiel in diesen Fällen:
- Streichpreise: Auf der Suche nach neuen Produkten begegnen uns oft sogenannte Streichpreise. Dabei wird der angeblich ursprüngliche Preis durchgestrichen angegeben und der aktuelle darunter geschrieben. Klarer Fall eines Ankereffekts. Denn als erstes nehmen wir den höheren Preis wahr, der somit zu unserem Anker wird. Der darunter stehende niedrigere Preis macht das Angebot zu einem echten Schnäppchen und lässt uns eher zugreifen. Das übrigens unabhängig davon, ob der Streichpreis tatsächlich realistisch ist.
- Rabatte: Der Mechanismus bei Rabatten funktioniert ganz ähnlich. Indem uns suggeriert wird, dass wir einige Prozent sparen, erscheint und das Angebot gleich umso verlockender. Achten Sie einmal darauf: Bei Rabatten nutzen Händler häufig die sogenannte „Rule of 100“. Die besagt, dass bei Preisen unter 100 Euro (oder Dollar) der Rabatt in Prozenten angegeben werden soll. Warum? Weil die Prozentzahl größer ist als der eigentliche Rabatt in Euro. Wenn das Produkt von 10 Euro auf 9 Euro reduziert wird, klingt die Ersparnis von 1 Euro nach nicht viel Geld. 10 Prozent dagegen klingen schon besser, obwohl sich an der eigentlichen Ersparnis nichts geändert hat.
Woher kommt der Ankereffekt?
Stellt sich die Frage, warum wir uns in unseren Entscheidungen von solch simplen Tricks beeinflussen lassen. Die Antwort auf diese Frage liegt in der Entwicklung des Menschen. Diejenigen Vorfahren, die schneller reagierten, hatten eine höhere Chance, zu überleben. Aus diesem Grund haben sich psychologische Faustformeln wie die Ankerheuristik ausgebildet – und dieser Effekt ist nicht der einzige, der unsere Entscheidungen beeinflusst.
Wir lassen uns von vielen anderen kognitiven Prozessen leiten, die sich leider hin und wieder als Trugschluss entpuppen. Aber ohne diese Denkmuster würde unser Alltag nur schwer machbar sein.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten jeden Schritt morgens auf dem Weg zur Arbeit vorab in aller Ruhe durchdenken und gezielt planen. Das würde eine Menge Ressourcen kosten und unnötig Zeit verschwenden.
Wenn Sie sich stattdessen darauf verlassen können, dass Ihr Gehirn die nötigen Schritte quasi selbstständig ausführt, können Sie sich zusätzlich auf andere Dinge konzentrieren. Das ist der große Vorteil dieser psychologischen Verkürzungen: Sie entlasten uns, indem sie unsere täglichen Routineabläufe erst ermöglichen.
Ankereffekt im Job: So nutzen Sie die Ankerheuristik
So weit, so gut. Denn das bisher Gesagte bedeutet eben auch, dass sich der Ankereffekt im Job nutzen lässt – und zwar zu Ihrem Vorteil. Denn wir erinnern uns: Der Ankereffekt wirkt auch dann, wenn wir ihn kennen und wissen, dass wir uns von ihm beeinflussen lassen. Somit können Sie den Effekt theoretisch bei allen möglichen Gesprächspartnern nutzen.
Wie mächtig der Ankereffekt ist, zeigt sich übrigens auch darin, dass er auch bei NLP genutzt wird. Und hier geht es verstärkt darum, sein Gegenüber durch geschickte Wortwahl in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Gerade bei Gehaltsverhandlungen bietet sich der Ankereffekt also förmlich an. Probieren Sie es doch einfach mal aus, ob sich Ihr Vorgesetzter von einer vorher genannten hohen Zahl beeinflussen lässt.
Ankereffekt im Job: zwei Beispiele
Denn Ankereffekt können Sie im Job zum Beispiel in diesen beiden Situationen nutzen:
1. Gehaltsverhandlung
Wenn Sie in die Gehaltsverhandlung mit Ihrem Vorgesetzten einsteigen, nennen Sie ein möglichst hohes Gehalt. Achten Sie jedoch darauf, dass Sie nicht einfach 60.000 Euro sagen. Denn auch das wissen wir aus der Psychologie. Wer zum Einstieg eine runde Zahl nennt, muss mit größeren Abschlägen rechnen.
Wenn Sie 60.000 Euro nennen, wird Ihr Vorgesetzter mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls in 1000-er Schritten verhandeln. Sagen Sie stattdessen 59.500 Euro, werden die Schritte kleiner.
Die genauere Zahl hat noch einen weiteren Vorteil: Ihr Chef wird unbewusst vermuten, dass Sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon haben, was Ihre Arbeit wert ist. Das wissen die meisten Menschen zu schätzen und verhandeln daher eher entgegenkommend. Schließlich möchten wir unser Gegenüber nicht verärgern oder gar beleidigen. Das könnte aber passieren, wenn das Gehalt, was Ihr Chef nennt, zu sehr von Ihrer Vorstellung abweicht.
2. Einstiegsgehalt
Was für die Gehaltsverhandlung gilt, gilt natürlich auch für das Einstiegsgehalt und den Ankereffekt. Das Vorgehen ist dabei ähnlich wie oben beschrieben. Nehmen Sie eine möglichst konkrete Zahl, die sich am äußeren Ende Ihrer Gehaltsvorstellung bewegt.
Natürlich sollte die Zahl nicht komplett unrealistisch sein, denn damit würden Sie sich im Vorstellungsgespräch wohl eher ins Aus katapultieren. Personaler bevorzugen in dieser Situation vermutlich diejenigen Kandidaten, die eine realistische Einschätzung haben. Trotzdem können Sie den Ankereffekt nutzen und dem Personaler eine Zahl nennen, die möglichst hoch ist. Diese Zahl wird ihm als Referenzwert dienen, an dem er sich in der weiteren Verhandlung orientiert – wenn auch völlig unbewusst.
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