Betriebliche Übung: Wann liegt sie vor?

Bestimmte Praktiken oder materielle Zusatzleistungen sind für den Arbeitgeber freiwillig. Duldet oder gewährt er sie regelmäßig, kann sich daraus für Arbeitnehmer jedoch ein Anspruch darauf ableiten – wenn nämlich eine sogenannte betriebliche Übung entstanden ist. Wann ist das der Fall und wie ist die betriebliche Übung im Arbeitsrecht geregelt? Kann der Arbeitgeber verhindern, dass sich eine betriebliche Übung ergibt? Darum geht es in diesem Beitrag.

Ein Chef rechnet eine mögliche betriebliche Übung durch

So ist die betriebliche Übung im Arbeitsrecht geregelt

Aus dem Arbeitsrecht, den Bestimmungen des Arbeitsvertrags, Tarifverträgen oder einer Betriebsvereinbarung ergeben sich Rechte für Arbeitnehmer. Aus den genannten Quellen können sich etwa ein Anspruch auf eine bestimmte Bezahlung, eine gewisse Zahl an Urlaubstagen oder bestimmte Arbeitszeiten ableiten. Bei anderen Sachverhalten haben Arbeitnehmer kein Recht, eine bestimmte Verhaltensweise vom Arbeitgeber zu fordern – eigentlich.

Praktisch kann sich für Beschäftigte ein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen des Arbeitgebers ergeben, wenn dieser eine Leistung regelmäßig gewährt. Es kann dann zu einer betrieblichen Übung kommen, bei der die Beschäftigten davon ausgehen können, dass sie die jeweilige Leistung auch in der Zukunft erhalten werden. Ein Verhalten, das für den Arbeitgeber ursprünglich freiwillig war, wird dadurch für ihn zur Pflicht. Ein einseitiger Widerruf der Praxis durch den Arbeitgeber ist nicht mehr möglich, wenn eine betriebliche Übung entstanden ist. Damit sich eine betriebliche Übung ergeben kann, müssen gemäß den Bestimmungen des Arbeitsrechts bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

Betriebliche Übung: Wann ist sie gegeben?

Im Arbeitsrecht ist nicht eindeutig geregelt, ab wann eine betriebliche Übung gegeben ist. Deshalb müssen immer wieder Gerichte entscheiden, ob sich eine betriebliche Übung in bestimmten Fällen ergeben hat oder nicht. Die aktuelle Rechtsprechung beeinflusst somit maßgeblich, wann von einer betrieblichen Übung ausgegangen werden kann.

Eine betriebliche Übung kann nur entstehen, wenn

  • sich der Arbeitgeber regelmäßig gleich verhält
  • und er dies vorbehaltlos tut.

Das Verhalten, welches der Arbeitgeber regelmäßig zeigen kann, kann einerseits mit materiellen Vorteilen für die Beschäftigten einhergehen. Es kann jedoch auch Praktiken im Betriebsablauf betreffen. Der Arbeitgeber kann im Rahmen des jeweiligen Verhaltens deutlich machen, dass seine Mitarbeiter nicht erwarten können, dass er das Verhalten auch künftig zeigt. Tut er das, ist die Gewährung der Leistung nicht vorbehaltlos. Das schließt aus, dass sich eine betriebliche Übung ergeben kann – vorausgesetzt, die Einschränkung des Arbeitgebers ist rechtlich haltbar.

Betriebliche Übung kann nur gegeben sein, wenn es sich immer um das gleiche Verhalten des Arbeitgebers handelt. Wie oft er dieses gezeigt haben muss, bis eine betriebliche Übung entsteht, hängt von den Umständen im Einzelfall ab. Bezogen auf Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld hat das Bundearbeitsgericht (BAG) geurteilt, dass sich eine betriebliche Übung nach drei Jahren ergeben kann. Ist es zu einer betrieblichen Übung gekommen, geht damit für Arbeitnehmer ein Rechtsanspruch auf die jeweilige Leistung oder Praxis einher. Sie können ein bestimmtes Verhalten also notfalls auch juristisch einfordern.

Um welche Aspekte kann es bei betrieblicher Übung gehen?

Eine betriebliche Übung kann verschiedene Aspekte betreffen. In vielen Fällen geht es um materielle Ansprüche, die sich daraus für Arbeitnehmer ergeben. Das kann Sonderzahlungen des Arbeitgebers betreffen, etwa Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld. Auch Prämien oder Bonuszahlungen sind Beispiele für Leistungen des Arbeitgebers, die eine betriebliche Übung bedingen können.

Manche Arbeitgeber gewähren ihren Arbeitnehmern regelmäßig Zuschüsse zu bestimmten Dingen, etwa der Kinderbetreuung, Monatstickets im öffentlichen Nahverkehr oder der Verpflegung. Auch auf bestimmte Gutscheine kann sich ein Rechtsanspruch durch betriebliche Übung ergeben. Dasselbe gilt für die Übernahme von Kosten für Weiterbildungen durch den Arbeitgeber sowie regelmäßige Gehaltserhöhungen.

Betriebliche Übung kann die Arbeitszeit und den Umgang mit Überstunden betreffen

In anderen Fällen dreht sich eine betriebliche Übung um Praktiken und Verhaltensweisen im Betrieb. Dabei handelt es sich in der Regel um Aspekte, die nicht im Arbeitsvertrag oder einer Betriebsvereinbarung geregelt sind. Eine betriebliche Übung kann die Arbeitszeit ebenso betreffen wie Pausenzeiten, die Modalitäten bei der Beantragung von Urlaub oder die private Internetnutzung am Arbeitsplatz.

Ebenso kann es bei einer betrieblichen Übung um den Umgang mit Überstunden gehen. Ob sie im Regelfall eher ausbezahlt werden oder durch Freizeit ausgeglichen werden, kann sich durch die regelmäßige Praxis in einem Unternehmen ergeben. Ein weiteres Beispiel betrifft Zuschläge für Überstunden, Raucherpausen oder das Vorgehen bei Krankmeldungen. Auch aus der freiwilligen Anwendung eines Tarifvertrags kann sich eine betriebliche Übung ergeben, auf die Beschäftigte sich berufen können.

Können sich auch neue Mitarbeiter auf eine betriebliche Übung berufen?

Gilt eine betriebliche Übung nur für die bestehende Belegschaft oder auch für Neueinstellungen? Grundsätzlich können sich alle Mitarbeiter auf eine betriebliche Übung berufen, egal, wie lange sie schon im Unternehmen sind.

Allerdings ist es möglich, neue Mitarbeiter von einer betrieblichen Übung auszunehmen. Eine entsprechende Formulierung kann sich bereits im Arbeitsvertrag finden. Der Arbeitgeber muss ansonsten spätestens am ersten Arbeitstag klar machen, dass die betreffende betriebliche Übung für den neuen Mitarbeiter nicht gilt. Ansonsten müssen auch Neuzugänge im Betrieb in den Genuss der Ansprüche kommen, die sich aus der betrieblichen Übung ergeben.

Betriebliche Übung: Kann der Arbeitgeber etwas dagegen tun?

Aus Arbeitgebersicht ist es nicht wünschenswert, dass sich eine betriebliche Übung ergibt. Arbeitgeber sind dadurch schließlich zu bestimmten Leistungen oder Verhaltensweisen gezwungen, die ein Nachteil für sie sein können. Eine einmal etablierte betriebliche Übung lässt sich nur noch schwer wieder aufheben. Deshalb sind viele Arbeitgeber bemüht, die Entstehung eines Rechtsanspruchs von vornherein zu verhindern.

Arbeitgeber haben dabei verschiedene Optionen:

  • Sie können Leistungen und Verhaltensweisen nur unregelmäßig gewähren beziehungsweise zeigen,
  • sie können die gewährten Leistungen variieren
  • oder diese mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt verknüpfen.

Betriebliche Übung ausschließen durch unregelmäßige Leistungen

Arbeitgeber, die sicherstellen wollen, dass keine betriebliche Übung entstehen kann, können Leistungen nur unregelmäßig gewähren. Wer seinen Mitarbeitern zum Beispiel Urlaubsgeld zahlt, kann zwischendurch ein Jahr pausieren. Dadurch wären die Voraussetzungen für die Entstehung einer betrieblichen Übung nicht gegeben, weil keine Regelmäßigkeit gegeben ist.

Verschiedene Leistungen können keine betriebliche Übung bedingen

Ebenso denkbar ist es, dass Arbeitgeber ihren Mitarbeitern unterschiedliche Leistungen zukommen lassen. In einem Jahr können sie etwa Weihnachtsgeld zahlen, in einem anderen eine Prämie für gute Leistungen. Dadurch kommen die Beschäftigten trotzdem in den Genuss von Zusatzleistungen, haben aber keinen Rechtsanspruch darauf.

Freiwilligkeitsvorbehalt bei bestimmten Leistungen

Viele Arbeitgeber setzen auf einen Freiwilligkeitsvorbehalt, um die Entstehung einer betrieblichen Übung zu verhindern. Dieser kann sich im Arbeitsvertrag finden, er kann aber auch im Zusammenhang mit einer Leistung oder Praxis an die Beschäftigten übermittelt werden. Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber klar macht, dass eine Leistung freiwillig ist und sich daraus kein Anspruch auf zukünftige Leistungen ergibt.

So simpel das auf den ersten Blick klingen mag: In der Praxis hängt es von den Feinheiten der Formulierung ab, ob ein Freiwilligkeitsvorbehalt wirksam ist oder nicht. Nach aktueller Rechtsprechung müssen Arbeitgeber in einem Freiwilligkeitsvorbehalt unmissverständlich verdeutlichen, dass eine Leistung nicht mit einem Rechtsanspruch einhergeht. Es kann etwa davon die Rede sein, dass sich aus einer Leistung „kein Rechtsanspruch für die Zukunft“ ergibt oder eine Sonderzahlung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ erfolgt.

Nur davon zu sprechen, dass eine Leistung „freiwillig“ ist, reicht hingegen in der Regel nicht aus. Entsprechende Formulierungen könnten so verstanden werden, dass der Arbeitgeber sich freiwillig zu bestimmten Leistungen verpflichtet, auf die Arbeitnehmer ansonsten nicht durch den Arbeitsvertrag, Tarifverträge oder Gesetze einen Anspruch hätten. Insofern ist die Wortwahl missverständlich.

Betriebliche Übung wieder aufheben: Geht das?

Eine einmal entstandene betriebliche Übung können Arbeitgeber nur sehr schwer wieder aufheben. Sobald sich für die Beschäftigten ein Rechtsanspruch ergeben hat, ist ein einseitiger Widerruf der jeweiligen Praxis durch den Arbeitgeber nicht mehr möglich.

Manche Arbeitgeber hoffen, dass sich ihre Mitarbeiter schon nicht auf ihren Rechtsanspruch berufen werden, und gewähren eine Leistung einfach nicht mehr. Das ist jedoch keine rechtssichere Möglichkeit, denn der Anspruch der Beschäftigten besteht in diesem Fall in der Regel weiterhin. In der Vergangenheit war es mit einer solchen gegenläufigen betrieblichen Übung durchaus möglich, eine bestehende betriebliche Übung zu durchbrechen. Das setzte voraus, dass der Arbeitnehmer eine gewisse Zeit lang nicht widersprochen hat, wenn der Arbeitgeber sein Verhalten geändert hat. Wie lange dieser Zeitraum sein musste, hing davon ab, wie lang es gedauert hat, bis die betriebliche Übung entstanden ist – im Fall von Weihnachts- oder Urlaubsgeld etwa drei Jahre.

Inzwischen hat das Bundesarbeitsgericht dem jedoch Grenzen gesetzt. Schweigt der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber eine betriebliche Übung ändert, ist das nicht länger automatisch als Akzeptanz einer gegenläufigen betrieblichen Übung zu werten (Az. 10 AZR 281/08). Das ist nur denkbar, wenn der Arbeitgeber seine Mitarbeiter umfassend und klar verständlich darüber informiert hat, was ihr Schweigen bedeutet. Praktisch ergibt sich daher kaum Spielraum, um eine betriebliche Übung mit einer gegenläufigen betrieblichen Übung zu beseitigen.

Betriebliche Übung beenden: Änderung des Arbeitsvertrags oder Änderungskündigung

Um eine bestehende betriebliche Übung zu durchbrechen, bleibt Arbeitgebern die Möglichkeit, sich darauf einvernehmlich mit ihren Beschäftigten zu einigen. Diese können sich auf eine Änderung des Arbeitsvertrags einlassen. Dazu sind sie jedoch nicht gezwungen.

Ohne ihr Einverständnis kann der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern nur noch eine Änderungskündigung aussprechen. Eine Änderungskündigung stellt einerseits eine Kündigung, andererseits aber ein Angebot dar, die Zusammenarbeit zu anderen Konditionen zu verlängern. Stimmen die Beschäftigten dem zu, setzt sich das Arbeitsverhältnis fort; auf ihren Rechtsanspruch auf die betriebliche Übung müssen sie jedoch verzichten. Wer sich auf eine Änderungskündigung nicht einlässt, verliert seinen Job.

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