Hindsight Bias: Hinterher ist man immer schlauer
„Habe ich es nicht gleich gesagt?“ Wenn Sie auf diesen Ausruf Ihres Kollegen innerlich (oder gar öffentlich) mit einem Nein reagieren, könnte es sich um einen Hindsight Bias handeln. Damit meint man, dass wir Menschen versucht sind, uns die Vergangenheit im Nachhinein so zurecht zu biegen, dass sie besser zu unseren Entscheidungen oder dem Ergebnis in der Gegenwart passt. Was das konkret bedeutet und was man gegen den Hinsight Bias tun kann, erfahren Sie jetzt.
Was heißt Hindsight Bias?
Der Begriff Hindsight Bias, zu Deutsch Rückblickverzerrung oder Rückschaufehler, stammt aus der Psychologie. In den 1970er Jahren untersuchte der Mathematiker und Psychologe Baruch Fischhoff erstmals das Phänomen.
Der Hindsight Bias beschreibt das Verhalten, dass man rückblickend Dinge anders beurteilt, als man es ursprünglich getan hat. Der Rückschaufehler liegt darin begründet, dass die aktuellen Ereignisse unsere Erinnerungen beeinflussen.
Heißt: Das Ergebnis führt dazu, dass wir im Rückblick bestimmte Details als wichtiger erachten, als sie in der Vergangenheit (als wir die Entscheidung getroffen haben) waren.
Beispiel für den Rückschaufehler
Nehmen wir an, Sie und Ihr Kollege sollen sich auf einen neuen Lieferanten für bestimmte Vorprodukte einigen und diesen dann beauftragen. Um die Entscheidung zu treffen, sammeln Sie Informationen über alle Firmen, die für den Auftrag infrage kommen, und lassen sich zusätzlich Angebote für die verschiedenen Dienstleistungen und Produkte geben.
Danach kommen Sie mit Ihrem Kollegen zusammen und sichten die Informationen. Dabei tragen Sie die Vor- und Nachteile der verschiedenen Anbieter zusammen. Nehmen wir nun zusätzlich an, Sie entscheiden sich gemeinsam für den Lieferanten, der bei Ihnen nur die zweite Wahl war. Stellt sich dann im Nachhinein heraus, dass der Lieferant doch nicht so zuverlässig ist, wie Sie beides es gedacht haben, kommt es häufig zum Rückschaufehler.
Nun beurteilen Sie nämlich im Nachhinein das Angebot und die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit viel negativer, als Sie es ursprünglich getan hatten. Die neuesten Ereignisse, also konkret die Unzuverlässigkeit des Lieferanten, beeinflussen Ihre Erinnerungen. Nun denken Sie, dass Sie genau das vorhergesehen haben, als Sie und Ihr Kollege sich auf den Lieferanten geeinigt haben. Ein klassischer Hindsight Bias.
Die unterschiedlichen Arten des Hindsight Bias
Aus der Forschung zu dem Phänomen, die es nun schon seit einigen Jahrzehnten gibt, wissen wir mittlerweile, dass es drei Arten des Rückschaufehlers gibt:
- Keine Erinnerung: Rückblickend kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie man sich geäußert hat. Beispiel: Wer sich positiv für den Lieferanten ausgesprochen hat, der sich im Nachhinein als Fehlgriff erweist, streitet ab, sich für ihn eingesetzt zu haben.
- Nicht vorhersehbar: Bei dieser Form des Hindsight Bias erklärt man sich das Ergebnis durch die absolute Unvorhersehbarkeit der Situation. Man hatte also gar keine Chance, angemessen zu reagieren, weil man nun wirklich nicht damit rechnen konnte, dass das Ereignis eintritt.
- Nicht vermeidbar: Bei dieser Variante des Rückschaufehlers rechtfertigt man sich damit, dass es einfach unvermeidbar war, dass die Dinge so geschehen. Um keinen Fehler zugeben zu müssen, deutet man auch hier die Vergangenheit um. Rückblickend hat man es schon geahnt, dass der neue Lieferant seine Zusagen nicht einhält. Diese Art des Hindsight Bias erkennt man zum Beispiel an dem Satz: „Ich habe mir das ja gleich gedacht.“
Wie kommt es zum Rückschaufehler?
Grund für den Hindsight Bias scheint eine Verzerrung in der Erinnerung zu sein. Denn nach einiger Zeit hat man mehr Informationen über die betreffende Sache. In unserem Beispiel: Nach ein paar Monaten der Zusammenarbeit merken Sie, dass der Lieferant seine Zusagen nicht einhalten kann und Sie sich vermutlich nach einem neuen Dienstleister umsehen muss.
Bevor Sie mit dem Lieferanten zusammengearbeitet haben, konnten Sie das noch nicht wissen – höchstens ahnen. Und genau hier kommt der Rückschaufehler zum Tragen. Sie verknüpften nun Ihre Erinnerungen mit den neuen Informationen und deutet so das Geschehen in der Vergangenheit um.
Plötzlich glauben Sie, dass Sie schon zu Beginn der Zusammenarbeit Vorbehalte gegen den neuen Lieferanten hatten oder befürchtet haben, er würde die zugesagten Produkte nicht rechtzeitig liefern. Und damit erinnern Sie sich scheinbar an genau die Dinge, die eingetreten sind.
Es liegt am Hindsight Bias, dass Sie sich selbst täuschen und Geschehenes umdeuten. Doch beim Umdeuten allein bleibt es nicht. Man ignoriert oder verdrängt auch Informationen und Erinnerungen, die nicht mit dem aktuellen Ergebnis in Einklang zu bringen sind.
So vergessen Sie zum Beispiel, dass der Lieferant, für den Sie sich letztlich entschieden haben, auf Platz zwei Ihrer Liste stand. Somit können Sie ihn gar nicht so schlecht beurteilt haben, wie Sie nun vorgeben. Der Hindsight Bias ist schuld daran, dass Sie Ihre Erinnerungen an die getroffene Entscheidung umdeuten und Sie sich nur noch oder hauptsächlich an diejenigen Dinge erinnern, die zu der jetzt eigetretenen Situation passen.
Wer ist besonders vom Hindsight Bias betroffen?
Aus der Psychologie weiß man, dass es ganz bestimmte Persönlichkeitsstrukturen und Charaktereigenschaften gibt, die den Hindsight Bias begünstigen. Man ahnt es vielleicht schon: Personen, die auch sonst nicht vor Selbstbeweihräucherung zurückschrecken, tendieren auch eher zum Hindsight Bias.
Die Gleichung ist ganz einfach: Wer sich vor seinen Kollegen mal wieder als toller Hecht oder gleich Visionär präsentieren möchte, kann natürlich nicht zugeben, dass er in der Vergangenheit falsch gelegen hat. Stattdessen behauptet man lieber, dass man es eben immer schon gewusst hat.
Der Rückschaufehler im (Berufs-)Alltag
Sich selbst grundsätzlich als Person darzustellen, die es schon immer richtig gewusst hat, ist eine Sache. Der Hindsight Bias kann jedoch ganz schön auf das Betriebsklima und die Stimmung im Team drücken, wenn man nur noch in diesen Kategorien denkt. Also auch von seinen Kollegen erwartet, dass sie sich so verhalten, wie es rückblickend richtig gewesen wäre. Schließlich hätten sie es doch auch besser wissen müssen.
Das ist aus unterschiedlichen Gründen problematisch. Einer davon ist, dass wir aufgrund eines ausgeprägten Hindsight Bias nur selten aus unseren Fehlern oder Fehleinschätzungen lernen. Wer daher sein gesamtes Potenzial entfalten, aus Fehlern lernen und noch dazu ein angenehmerer Zeitgenosse werden möchte, sollte sich mit Strategien beschäftigen, um den Rückschaufehler zu vermeiden.
Eine solche Strategie kann sein, an einer realistischeren Erinnerung zu arbeiten. Wer vermeiden möchte, dass er sich die Vergangenheit rückblickend passend zurechtbiegt, sollte sich rechtzeitig Notizen machen. Im Falle unseres Lieferanten-Beispiels sollten Sie sich möglichst genau aufschreiben, zu welchem Ergebnis Sie kommen und welche Gründe Sie für Ihre Entscheidung hatten. Später – wenn Sie versucht sind, sich vom Hindsight Bias beeinflussen zu lassen – sollten Sie sich diese Notizen noch einmal ansehen. Durch den Vergleich der beiden Situationen wird dann vielleicht ein wenig klarer, dass Sie doch nicht geahnt haben, dass der Lieferant unzuverlässig ist. Sondern dass Sie Gefahr laufen, sich die eigenen Entscheidungen positiv zurechtzubiegen.
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