Präsentismus: krank zur Arbeit

Unsichere Beschäftigungsverhältnisse und Unternehmen in der Krise scheinen den Präsentismus zu befördern. So bezeichnet man das Phänomen, dass Mitarbeiter arbeiten gehen, obwohl sie krank sind. Welche Konsequenzen das haben kann und ob sich Präsentismus für die Unternehmen wirklich lohnt, lesen Sie hier.

Ein Mann ist krank auf der Arbeit, dies ist Präsentismus

Definition Präsentismus: Was versteht man darunter?

Mit Präsentismus ist gemeint, dass Arbeitnehmer zur Arbeit gehen, obwohl sie krank sind. Sie haben das Gefühl, dass sie sich nicht krankmelden können, weil sie am Arbeitsplatz gebraucht werden oder weil sie keine unnötigen Kosten für den Arbeitgeber verursachen möchten. Denn dieser ist bei abhängig Beschäftigten dazu verpflichtet, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten.

Das Einkommen ist also auch dann gesichert, wenn man sich mal krankmeldet. Trotzdem bleiben diese Beschäftigten nicht zuhause, obwohl ein Arzt sie dazu auffordert oder sie sich so schlecht fühlen, dass sie besser das Bett hüten sollten.

Die Folgen des Präsentismus

Dieses Verhalten ist auf den ersten Blick vielleicht löblich – zeugt es doch von viel Aufopferungsbereitschaft für den Job und Arbeitgeber. Auf den zweiten kann der Präsentismus jedoch mehr Kosten verursachen, als er einspart.

Wenn Beschäftigte nämlich mit einer ansteckenden Erkrankung am Arbeitsplatz erscheinen, besteht die Gefahr, dass sie ihre Kollegen anstecken. Sofern diese nicht auch krank zur Arbeit gehen, werden sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) vorlegen und für einige Tage fehlen. Hat der kranke Kollege mehr als einen Mitarbeiter angesteckt, kostet das seinen Arbeitgeber mehr Geld, als wenn er sich einfach für ein paar Tage auskuriert hätte.

Aber auch wenn der Arbeitnehmer kein Ansteckungsrisiko für andere darstellt, kann der Präsentismus mehr schaden als nützen. Nehmen wir an, der Beschäftigte leidet an einer Autoimmunerkrankung, geht aber trotzdem arbeiten und lässt sich somit keine Zeit, um die Beschwerden auszukurieren. Dann kann es sein, dass sich die Krankheit immer weiter verschlimmert und vielleicht sogar chronisch wird. Unterm Strich dauert die Erkrankung dann deutlich länger und kostet Arbeitgeber und Krankenkassen vor allem mehr.

Ebenfalls kein Geheimnis: Beschäftigte, die gesundheitlich angeschlagen sind, arbeiten nicht mit der gleichen Sorgfalt und Produktivität wie gewohnt. Die mangelnde Konzentration kann sogar ein Grund dafür sein, dass sie häufiger Fehler machen, welche wiederum Kosten verursachen können.

Auch wenn bisher noch keine abschließenden Untersuchungen der wirtschaftlichen Folgen des Präsentismus vorliegen, scheint man annehmen zu können, dass dieses Verhalten sowohl für die Unternehmen als auch die Gesamtgesellschaft kostspielig ist. Günstiger wäre es, die kranken Beschäftigten würden zuhause bleiben und sich kurieren.

Studien, Umfragen und Untersuchungen: So verbreitet ist Präsentismus

Die Gefahr durch den Präsentismus ist durchaus real: Eine Studie, bei der Arbeitnehmer in 34 europäischen Ländern teilnahmen, kam zu dem Ergebnis, dass mehr als 30 Prozent der Beschäftigten innerhalb der vergangenen 12 Monate mindestens einmal krank zur Arbeit gegangen sind.

Eine Umfrage der Krankenkasse AOK aus dem Jahr 2021 hat ergeben, dass in Deutschland mehr als 13 Prozent der befragten Arbeitnehmer schon einmal zur Arbeit gegangen sind, obwohl der behandelnde Arzt ihnen geraten hat, zuhause zu bleiben.

Definition Absentismus: Was ist damit gemeint?

Absentismus ist gewissermaßen das Gegenstück des Präsentismus. Denn mit Absentismus ist gemeint, dass Beschäftigte nicht arbeiten kommen, obwohl sie gesundheitlich durchaus dazu in der Lage wären. Absentismus könnte man daher auch mit blaumachen übersetzen. Die Arbeitnehmer geben vor, dass sie nicht arbeiten können, um ein paar Tage zusätzlichen Urlaub zu schinden.

In anderen Zusammenhängen, vor allem dort, wo man sich an der englischen Bezeichnung „absenteeism“ orientiert, meint man mit dem Begriff Absentismus aber ganz allgemein die Fehlzeiten von Arbeitnehmern – unabhängig davon, ob diese sozusagen freiwillig (blaumachen) oder unfreiwillig (Krankheit) zustande kommen.

Die Gründe für Präsentismus

Warum gehen Beschäftigte arbeiten, obwohl sie offensichtlich krank sind und es für alle Beteiligten besser wäre, sie würden sich zuhause erholen und ihre Arbeitskraft wiederherstellen? Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten, denn die Gründe für den Präsentismus sind ganz unterschiedlich.

1. Leichte Beschwerden

Zunächst einmal gibt es Erkrankungen, bei denen Arbeitnehmer nicht unbedingt das Bett hüten und zuhause bleiben müssen. Wer zum Beispiel an Kopfschmerzen leidet oder einen verstauchten Fuß hat, aber ausschließlich am Schreibtisch arbeitet, kann auch trotz diesen Einschränkungen arbeiten. Denn mit Kopfschmerzen kann man niemanden anstecken und ein verstauchter Fuß hält niemanden davon ab, E-Mails zu tippen.

Trotzdem kann es natürlich besser sein, man gönnt sich die nötige Ruhe und erscheint erst dann wieder auf der Arbeit, wenn man komplett leistungsfähig ist. Arbeitnehmer, die trotz einer Krankschreibung vom Arzt arbeiten gehen, sehen ihre Erkrankung vielleicht nicht so schwerwiegend an. Ein anderer Grund könnte sein, dass sie sich in der Lage fühlen, auch mit Kopfschmerzen zu arbeiten, und das Gefühl haben, ihre Kollegen unterstützen zu müssen.

2. Nicht ansteckende Erkrankungen

Neben diesen vergleichsweise harmlosen Erkrankungen gibt es weitere Beschwerden, die ebenfalls nicht ansteckend sind, aber schon eher ein Grund dafür sein können, zuhause zu bleiben. Beschäftigte, die in der Produktion arbeiten und Verschleißerscheinungen an den Gelenken feststellen, sollten schon eher auf den ärztlichen Rat hören und sich kurieren. Befolgen sie nicht die Hinweise des Arztes, können sich die Beschwerden verschlimmern und sogar chronisch werden.

Einige Arbeitnehmer möchten sich aber nicht eingestehen, dass sie krank oder nicht mehr ganz so leistungsfähig wie noch vor 15 Jahren sind. Sie gehen daher lieber arbeiten und versuchen, sich nichts anmerken zu lassen.

3. Psychische Probleme

Bisher haben wir uns nur körperliche Beschwerden und die Gründe für den Präsentismus angesehen. Arbeitnehmer leiden zunehmend aber auch unter psychischen Belastungen und Problemen.

Personen, die zum Beispiel eine leichte Depression entwickelt haben, könnten deshalb zur Arbeit gehen, weil sie sich nicht allein zuhause aufhalten wollen. Sie suchen ganz bewusst den Kontakt zu den Kollegen und ihrem gewohnten sozialen Umfeld.

Ein weiterer Grund für den Präsentismus in diesem Fall könnte sein, dass Personen mit psychischen Problemen einen großen Teil ihrer Selbstbestätigung aus der Arbeit ziehen. Fällt dieser Teil ihres Lebens aufgrund einer Krankschreibung weg, würde das angeknackste Selbstbild noch mehr als ohnehin schon leiden. Daher zwingen sie sich an den Arbeitsplatz, auch wenn sie besser zuhause bleiben und sich darauf konzentrieren sollten, gesund zu werden.

4. Führungsposition

Studien zum Präsentismus legen den Schluss nahe, dass Führungskräfte oder Mitarbeiter mit verantwortungsvollen Aufgaben ebenfalls dazu neigen, zur Arbeit zu gehen, obwohl sie krank sind.

Hier scheint falsch verstandenes Pflichtgefühl ein Grund für den Präsentismus zu sein. Diese Arbeitnehmer denken, dass sie es ihrem Arbeitgeber schuldig sind, dass sie arbeiten – und zwar auch dann, wenn sie krank sind. Außerdem wollen sie ein Vorbild für andere Mitarbeiter sein, sich bei einer Krankheit nicht so anzustellen und die Zähne zusammenzubeißen.

5. Keine Vertretung

In vielen Unternehmen fehlen heutzutage Stellvertreter. Mitarbeiter, die wissen, dass niemand ihre Arbeit von jetzt auf gleich übernehmen kann, sind daher eher bereit, auch trotz einer Krankschreibung am Arbeitsplatz zu erscheinen.

Sie möchten die Kollegen nicht im Stich lassen und fühlen sich dafür verantwortlich, ihre Arbeit selbst zu erledigen. Das ist im Prinzip auch löblich, doch bei Erkrankungen gelten andere Regeln und eine dünne Personaldecke darf nicht der Grund dafür sein, dass Mitarbeiter krank zur Arbeit gehen.

6. Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes

Nicht alle arbeitenden Personen haben heutzutage einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Zeitarbeit, Werkverträge oder Freelancer werden immer häufiger. Das Problem: Für diese Formen der Beschäftigung gilt nicht zwingend der gesetzliche Kündigungsschutz.

Arbeitnehmer, die ein solches Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind, gehen daher krank zur Arbeit, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Denn gerade in den weniger qualifizierten Berufen kann man leicht ersetzt werden.

Aber auch bei Arbeitnehmern mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag kann die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ein Grund für den Präsentismus sein. Wer immer wieder ein paar Tage wegen leichten Erkrankungen fehlt, muss bei betriebsbedingten Kündigungen schneller um seinen Arbeitsplatz fürchten als die Kollegen, die nur selten krank sind.

7. Anwesenheitsprämien

Der Präsentismus kann aber auch direkt vom Arbeitgeber befördert werden. In einigen Unternehmen gibt es Prämien dafür, wenn die Mitarbeiter nicht krank sind oder sich zumindest nicht krankmelden. Beschäftigte, die sich zum Beispiel während des gesamten Kalenderjahres nicht krankgemeldet haben, erhalten als Dankeschön einen Gutschein oder eine Sonderzahlung.

Wenn das Geld ohnehin knapp ist, überlegen sich Mitarbeiter dann häufig zweimal, ob sie wegen eines Schnupfens zuhause bleiben und damit auf ihre Anwesenheitsprämie verzichten.

Präsentismus vermeiden: So kann es gelingen

Unternehmen, die Präsentismus vermeiden möchten, sollten in erster Linie bei der eigenen Organisation ansetzen. Denn obwohl das Verhalten und Pflichtgefühl der Mitarbeiter eine Rolle beim Präsentismus spielen, scheint der Umgang mit Erkrankungen im Unternehmen ein wichtigerer Faktor zu sein.

Arbeitgeber können zum Beispiel hier ansetzen:

  1. Ergonomische Arbeitsplätze: Um Erkrankungen der Beschäftigten vorzubeugen, sollten Arbeitgeber auf die Ausstattung der Bildschirmarbeitsplätze achten. Auch die Arbeitsplätze in der Produktion sollten so gestaltet sein, dass die Arbeitnehmer möglichst wenig körperlich belastet werden.
  2. Personalschlüssel: Um dem Präsentismus vorzubeugen, können Arbeitgeber zusätzlich darauf achten, dass die Arbeit auf ausreichend viele Schultern verteilt wird. Wenn kranke Mitarbeiter nicht das Gefühl haben, ihre Kollegen im Stich zu lassen, wenn sie sich auskurieren, ist schon viel geholfen.
  3. Unternehmenskultur: Ein Grund für Präsentismus kann die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes sein. Diesem Verhalten der Beschäftigten kann die Unternehmensleitung vorbeugen, indem sie deutlich macht, dass niemand entlassen wird, wenn er krank zuhause bleibt. Im Gegenteil. Es sollte kommuniziert werden, dass Präsentismus nicht nur dem kranken Mitarbeiter, sondern auch dem gesamten Unternehmen schadet. Kollegialer ist es daher, zuhause zu bleiben, wenn man krank ist.

Bildnachweis: StratfordProductions / Shutterstock.com

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