Empty-Desk-Syndrom: Was, wenn der Renteneintritt zur Belastung wird?
Während manche Arbeitnehmer es kaum erwarten können, dem Job mit dem Renteneintritt endlich den Rücken kehren zu können, empfinden andere den Eintritt in den Ruhestand als Belastung. Das, was so viele Jahre lang galt, gilt nicht mehr; der Alltag ist von einem Tag auf den anderen plötzlich ungeordnet und liegt voller Leere vor einem. Dann spricht man auch von einem Empty-Desk-Syndrom. Was genau damit gemeint ist, wie es dazu kommen kann und was Sie tun können, wenn Ihnen die Umgewöhnung an das Rentnerdasein schwerfällt, erfahren Sie hier.
Empty-Desk-Syndrom: Was ist damit gemeint?
Wenn im Englischen vom Empty Desk Syndrome die Rede ist, geht es um Arbeitsplätze, die nicht besetzt sind. Oft gemeint ist das Phänomen, dass Arbeitskräfte in den Ruhestand gehen oder ein Unternehmen aus anderen Gründen verlassen und ihre Position nicht mehr mit einem Nachfolger gefüllt wird. Das kann absichtlich geschehen, um Geld einzusparen, oder Problemen bei der Stellenbesetzung geschuldet sein.
Auch im Deutschen hat sich mit dem Empty-Desk-Syndrom ein vergleichbarer Begriff durchgesetzt. Hier sieht man den leeren Schreibtisch aber nicht so sehr als Problem von Unternehmen, sondern von den Mitarbeitern, die ihn zurückgelassen und die plötzlich keine Aufgaben mehr haben – weil sie in den Ruhestand eingetreten sind. Betroffen sind nämlich Rentner, die Probleme haben, sich an den neuen Alltag ohne Arbeit zu gewöhnen.
Nach dem Renteneintritt droht die Bedeutungslosigkeit
Dabei ist der Begriff Empty-Desk-Syndrom auch analog zum Empty-Nest-Syndrom zu verstehen. Damit ist ein Phänomen gemeint, das viele Eltern nur allzu gut kennen: Wenn die Kinder das Haus verlassen haben, fallen viele in ein Loch. Die lange existierenden Strukturen und der Familienalltag sind plötzlich ganz anders als vorher, hinzu kommt der häufig als einschneidend erlebte „Verlust“ der Kinder.
Beim Empty-Desk-Syndrom verliert der Betroffene seinen Job und damit einen wichtigen Lebensinhalt. Der Schreibtisch ist leer, alles ist erledigt, es gibt nichts mehr zu tun – es ist Zeit für den Ruhestand. Auch hier gilt es, sich im Alltag völlig neu zurechtzufinden. Das fällt vielen Neu-Rentnern schwer. Vor allem ehemalige Manager, Führungskräfte und Menschen, die sehr in ihrem Job aufgegangen und sich dafür stark engagiert haben, können vom Empty-Desk-Syndrom im Ruhestand betroffen sein.
Dabei wird die Rentenzeit, auf die sich viele Beschäftigte so lange freuen, als längst nicht so positiv erlebt wie erhofft. Im Gegenteil: Der mit der Aufgabe des beruflichen Daseins oft verbundene Statusverlust und der Verlust einer zentralen Aufgabe können Betroffene in eine veritable Lebenskrise stürzen.
Ursachen: Warum kommt es zum Empty-Desk-Syndrom?
Vom Empty-Desk-Syndrom sind vor allem Menschen betroffenen, denen ihre Leistungen im Job sehr wichtig waren. Besonders Führungskräfte, die im Job viel erreicht und eine entsprechende Verantwortung getragen haben, sind im Ruhestand oft unzufrieden. Dass vor allem Leistungsträger vom Empty-Desk-Syndrom betroffen sind, ist kein Zufall. Sie sind es, die für den beruflichen Aufstieg vor allem eins getan haben: hart gearbeitet. Ihr Leben bestand zumindest phasenweise vor allem aus Arbeit, und daran haben sie sich gewöhnt.
Wer jede Woche 50 Stunden und mehr bei der Arbeit ist, hat kaum noch Zeit für andere Dinge. Beziehungen, Freundschaften, Hobbys – solche Dinge treten während der Berufstätigkeit oft in den Hintergrund, weil schlicht keine Zeit dafür ist. Rückt nun der Ruhestand näher, wächst oft die Sorge vor dem Danach. Wie soll man den Alltag ohne Job noch gewinnbringend gestalten? So manchem (angehenden) Ruheständler fehlt dafür eine Vorstellung. Dass viele Betroffene im Berufsalltag zwischenmenschliche Beziehungen und private Interessen vernachlässigt haben, rächt sich nun.
Wer im Job „jemand war“, muss sich in der Rolle als Rentner erst zurechtfinden
Mit dem Ende der Berufstätigkeit geht nicht nur eine wichtige Aufgabe verloren. Auch andere Aspekte ändern sich: Betroffene haben etwa plötzlich nicht mehr die Macht, die sie im Job noch hatten, und den mit ihrer Position verbundenen Status. Soziale Kontakte, die sich nur durch die Arbeit ergeben haben, können fehlen, ebenso Annehmlichkeiten wie der Dienstwagen oder der Umgang in bestimmten Kreisen.
Die Woche, die vorher mit Arbeit prall gefüllt war, liegt nun leer und unaufregend vor einem. In der Langeweile, die unter diesen Umständen häufig aufkommt, wünscht sich so mancher Neu-Rentner den Job zurück. Erschwerend hinzu kommt für viele, dass im Ruhestand ein Teil der eigenen Identität verlorenzugehen scheint. Im Beruf war man jemand, war es gewohnt, dass andere einem Respekt entgegenbringen und widerspiegeln, wie wichtig man ist. Gehen solche Personen in Rente, kann es sich anfühlen, als seien sie obsolet geworden. Auf einmal zum „alten Eisen“ zu gehören, ist für viele schwer zu verkraften.
Folgen: Wozu das Empty-Desk-Syndrom im Ruhestand führen kann
Leidet jemand im Ruhestand am Empty-Desk-Syndrom, kann sich das auf verschiedene Art und Weise bemerkbar machen. Die ersten Anzeichen dafür treten aber oft schon eine gewisse Zeit vor dem Renteneintritt auf. Betroffene sehen dem Ruhestand häufig mit gemischten Gefühlen entgegen – und fürchten sich nicht selten insgeheim vor dem Austritt aus dem Beruf. Manche älteren Arbeitnehmer freuen sich zu diesem Zeitpunkt aber auch noch auf die Rentenzeit.
Ist der letzte Arbeitstag gekommen, geht das unweigerlich mit großen Umwälzungen im Alltag einher. Bei einem Empty-Desk-Syndrom gelingt es den Betroffenen kaum, sich an diesen neuen, leeren Alltag zu gewöhnen. Die Folgen sind oft schlechte Stimmung, Langeweile und eine innere Leere. Auch Selbstzweifel können sich einstellen, weil mit dem Job auch der Status verlorengeht und man die eigene Identität hinterfragt.
In manchen Fällen gehen die negativen Gefühle, die mit dem Ruhestand verbunden sein können, vergleichsweise schnell vorüber. In anderen Fällen sind sie hartnäckig und können den Betroffenen in eine echte Krise stürzen. Auch Depressionen sind unter solchen Umständen keine Seltenheit.
Konflikte in der Partnerschaft oder Familie können die Situation zusätzlich belasten. Auch hier ist es schließlich so, dass der Alltag sich verändert. Der Neu-Rentner sitzt plötzlich den ganzen Tag zuhause, mischt sich in Dinge ein, die ihn vorher nicht interessiert haben, und ist allgemein wesentlich präsenter als früher. Das führt nicht selten zu Konflikten in der Beziehung, wenn sich die Partner auf einmal gegenseitig auf die Nerven gehen. Die Freude am Ruhestand, die es zumindest ganz am Anfang womöglich mal gab, verkehrt sich dann schnell ins Gegenteil; an ihre Stelle treten Frust und Ernüchterung.
Strategien für mehr Zufriedenheit im Ruhestand
Wenn Sie im Ruhestand ernüchtert sind und der Gedanke an die freie Zeit, die vor Ihnen liegt, keine Freude auslöst, heißt das nicht, dass das immer so bleiben muss. Sie können lernen, Ihren Alltag anders zu gestalten, und dadurch zufriedener werden. Gefragt ist eine individuelle Strategie, um mit dem Ruhestand und seinen Herausforderungen umzugehen.
Die Vorbereitung auf den Ruhestand erfolgt dabei im besten Fall so früh wie möglich. Sprechen Sie also nach Möglichkeit schon vor dem Renteneintritt mit Ihrer Familie und mit Freunden darüber, wie Sie die Zeit nach dem Berufsleben gestalten können und wollen. Vielleicht haben Sie auch Freunde oder Bekannte, die Ihnen Tipps dafür geben können, weil sie selbst schon in Rente sind. Sie können alternativ eine Beratung in Anspruch nehmen, die Ihnen bei einem sanften Übergang vom Berufs- in Rentnerleben hilft.
Um im Ruhestand zufriedener zu werden, sollten Sie überlegen, was genau Ihnen am Job am meisten fehlt. Vielleicht ist es die Verantwortung, die Sie getragen haben, oder das Gefühl, wirklich etwas zu verändern. Vielleicht ist es auch der Status, der mit Ihrem Job verbunden war, oder die Kontakte, die sich dadurch ergeben haben.
Was genau fehlt Ihnen?
Versuchen Sie, das, was Ihnen fehlt, durch eine andere Aufgabe zu ersetzen. Sie können sich zum Beispiel einem neuen Hobby intensiv widmen, wenn es Ihnen Spaß macht. Oder Sie suchen sich ein Ehrenamt. In Vereinen oder Stiftungen können Sie möglicherweise sogar Verantwortung in Form eines Amts übernehmen.
Wenn Ihnen die Arbeit fehlt, kann die Lösung auch darin bestehen, zumindest teilweise weiter zu arbeiten. Möglicherweise ist Ihr alter Arbeitgeber interessiert, wenn Sie sich als Berater anbieten. Oder Sie geben Ihr Wissen als Dozent an junge Menschen weiter, die Ihren Beruf erst noch erlernen möchten.
Manchen Ruheständlern, die vom Empty-Desk-Syndrom betroffen sind, fehlt nicht so sehr der Job an sich, sondern die Kontakte. Falls es Ihnen auch so geht, sollten Sie versuchen, neue Kontakte zu knüpfen oder alte Kontakte wiederaufleben zu lassen. Sie können zum Beispiel bei Kursen, in Ehrenämtern oder bei neuen Hobbys Menschen kennenlernen.
Geben Sie Ihrem Alltag wieder Struktur
Um auf andere Gedanken zu kommen, ist Bewegung immer eine gute Idee. Sie bleiben durch etwas Sport nicht nur fit, sondern haben wahrscheinlich auch bessere Laune. Auch Depressionen können Sie durch regelmäßige Bewegung vorbeugen. Es muss dafür kein Ausdauersport sein; auch Spazierengehen ist sehr wirkungsvoll.
Egal, ob Sie sich im Ruhestand eine große neue Aufgabe suchen oder nicht: Es ist wichtig, dass Sie Ihrem Alltag wieder Struktur geben. Es kann schon hilfreich sein, zu wissen, dass man zwei Tage die Woche einen Nebenjob ausübt, an einem dritten Tag ins Schwimmbad geht und am vierten Tag Freunde im Café trifft.
Was für Sie funktioniert, müssen Sie ausprobieren. Stellen Sie sich darauf ein, dass es eine gewisse Zeit dauern wird, bis Sie sich an Ihren neuen Alltag als Rentner gewöhnt haben. Zwischenzeitlich sollten Sie immer wieder hinterfragen, ob Sie auf einem guten Weg sind oder ob es noch Anpassungsbedarf gibt, damit Sie Ihren Ruhestand genießen können.
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